Weiterärgern und fertig bauen.

Als gute Demokratin, so habe ich  vielfach gehört, darf ich jetzt nicht mehr gegen ein vom Volk legitimiertes Bauprojekt auf die Straße gehen, muss die Kröte schlucken und das Maul halten. Es sei dahin gestellt, was ich von der Volksabstimmung über die Bahnhofsfrage halte. Aber klar ist: Es wird gebaut. Zumindest mal damit angefangen. Bis das Geld ausgeht. Einerseits sagt die Bahn, dass 4.500.000.000 Euro ausreichend seien. Andererseits sagte Bahnchef Grube aber auch, dass sich das Land wie alle Projektpartner an etwaigen Mehrkosten beteiligen muss. Ministerpräsident Kretschmann behauptet jedoch, dass das Land keinen Cent mehr als der veranschlagte Anteil zahlen wird. Gebaut soll trotzdem werden, obwohl keinem klar ist, wer die Rechnung dann zahlt, die garantiert kommen wird. Und da niemand gerne vor Bauruine 21 stehen möchte, wird im Falle von Kostenlimitüberschreitung halt doch Landesgeld in den Schlund des Erdbahnhofs verschwinden, denn keiner hat dann die Eier zu fordern, die Grube wieder zuzuschütten.

Als gute Demokratin schickt es sich vielleicht nicht, weiter gegen S21 zu demonstrieren, aber für eine klare Aussage zur Finanzierung kann man ruhig weiterhin auf die Straße gehen.

Wenn die Bahn ihren eigenen Zahlen glauben würde, könnte sie ja ohne Probleme die Mehrkosten übernehmen, die es aus ihrer Sicht nie geben wird. Es mag gängige Praxis sein, Projekte mit zu knapp kalkulierten Kosten politisch durchzusetzen, aber ich sehe nicht ein, dass die Bürger dieses Landes dafür aufkommen müssen. So lange seine Finanzierung nicht geklärt ist, darf mit dem Bau des Erdbahnhofs nicht angefangen werden.

Mich hätte übrigens interessiert, wie das Land abgestimmt hätte, wenn die erdbahnhofsfreudige Mehrheit direkt dafür gerade stehen müsste. Wie viel Privatvermögen wäre jeder von denen bereit, in ihre Version der Zukunft von Stuttgart zu investieren? Leider herrscht die Einstellung, dass irgend jemand schon die Rechnung bezahlen wird. Dieser Gedanke ist Vater unserer Eurokrise und widert mich an.

Als gute Demokratin akzeptiere ich des Volkes Wille, werde aber nicht aufhören, wach zu bleiben. Stuttgart wird sich in den nächsten Jahrzehnten drastisch ändern. Der Ruf nach mehr Partizipation des Volkes wurde laut, die Politik denkt über Vereinfachung von Bürgerentscheiden nach. Das stellt uns als Bürger in die Verantwortung, die Entwicklung kritischen Auges zu begleiten. Auch wenn es für viele frustrierend sein mag, dass der Widerstand nichts verhindern konnte, dürfen wir jetzt nicht aufgeben und uns beleidigt zurück ziehen. Gerade jetzt ist es wichtig, unser neu gefundenes politische Bewusstsein weiter zu leben und eine aktive Rolle an der Entwicklung unserer Stadt und unsere Landes einzunehmen. Demokratie funktioniert nur, wenn der Souverän, das Volk, kritisch, wach und verantwortungsbewusst handelt.

Autor: Dora Asemwald

Ich bin virtuell real.

23 Kommentare zu „Weiterärgern und fertig bauen.“

  1. Teuer erkauft, aber wenn’s wenigstens diesen positiven Effekt hat, bzw. der auch tatsächlich dem politischen Bewußtsein gerecht wird und nicht denen, die eigentlich nur abstimmen, weil sie dieses motzige politische Bewußtsein unterdrücken wollen …

  2. Dann kannst du dich ja gleich mal beim Null-CO2 Viertel Rosenstein beteiligen. Da kannste nicht so viel essen, wie du … (lassen wir das). Das Traurigste ist, dass aus meiner Sicht die Politik sich durch das Ergebnis in ihrem „alten“ Denken bestätigt fühlt. Man wird versuchen, den Bürgern ein paar Bröckchen hinzuwerfen, das wars dann aber auch.

    1. genau, das alte denken scheint bestätigt zu werden. zum heulen. und herr hauck wird schon wieder gewaltig vorlaut. schade, mit fukushima kam die hilfe für das umdenken exakt zum richtigen zeitpunkt, dies mal blieb solch ein ausserirdisches ereignis aus___

  3. Nun ja, was soll das Volk auch anderes tun, wenn die Bahn so gekonnt mit 1,4 Mrd Euro Strafe bei Finanzierungsausstieg droht?

    http://feydbraybrook.wordpress.com/2011/11/28/s21-erpresserschreiben-aufgetaucht/

    Andererseits… wenn wir uns schon von Konzernen einschüchtern lassen … wieso sollten die Politiker das nun nicht auch weiter tun? Hm… ich als einer der 41 unterlegenen Prozent jedenfalls darf in 10 oder 15 Jahren, wenn die Baustelle und die Kosten immer neue Dimensionen annehmen, die Hand heben und sagen: „NOT GUILTY!“

  4. ja, es geht wohl um viel Geld. was aufm Spiel steht. heut habsch was von 2 Milliarden gehört, die das Bahnhofprojekt sowieso mindestens mehr veranschlagen müsst, was aber rücksichtsvoll verschwiegen wurde, um die Wähler nicht zu verschrecken.

    Sollese doch mache wasse wolle.

  5. Die meisten S21-„Befürworter“, die ich kenne, die gegen den Ausstieg gestimmt haben, haben das getan wegen (wörtlich): „Jetzt haben sie schon angefangen“.
    So kann man das natürlich auch machen. Die Leute vor vollendete Tatsachen stellen, die meisten werden dann zähneknirschend einlenken. Auch der Wähler selbst hat sich erpressen lassen.

    1. Das ist absolut zutreffend – in Gorleben scheint man den Beweis für Anitas These nocheinmal wieder erkennen zu können: der Bundeshaushalt sieht 73 Mio. Euro für die Weitererkundung des (bereits jetzt schon nachweislich ungeeigneten) Salzstocks in Gorleben vor, aber nur 3 zur Suche nach weiteren Alternativen. Man muß immer nur die Abstimmung ins Überregionale verlegen, und schon hat man im Verhältnis zu den Gesamt-Abstimmenden das Gewünschte: nämlich lauter leute die sagen, das wären alles ihre persönlich eingezahlten Steuergelder, die da „nutzlos“ versenkt würden. Damit ist der Wähler „außer Sichtweite“ selbstverständlich nur zu leicht erpressbar, wenn man ihm mit Steuererhöhungen droht, ganz gleich, um welches Projekt es sich handelt.

    2. Wenn ich bemerke, dass ich soeben in falscher Fahrtrichtung auf die Autobahn gefahren bin, dann sag ich doch auch nicht: Ach egal, jetzt bin ich schon hier, fahr ich halt einfach weiter!

  6. Vielleicht sollte man diesem Grube ( Nomen est Omen!) mal vorschlagen, seinen Kostenanteil zu „hebeln“. Davon glauben unsere Berliner Regierungsfuzzis ja was zu verstehen…. wenn’s denn was wird mit dem Euro-Hebel. Der Grubenbauer (vielleicht sollte man ihm zur Erhellung mal „Harzer Grubenlicht“ empfehlen) könnte mühelos seinen Kostenanteil vervier- bis fünffachen und BW seinen Anteil einfrieren. Aber wer will schon Bahngrubenanleihen kaufen? Eben.

  7. Nein, das ist alles Quatsch. Auch ein guter Demokrat darf über die ganzen Neinsager sagen, dass sie Idioten sind, nichts kapieren usw. und weiterhin mit allen rechtsstaatlichen Mitteln seine Meinung und Interessen vertreten. Nur politischen Repräsentanten, denen steht es nicht zu den Souverän zu bashen.
    Ich glaube viele Leute sollten mal Nachhilfe in Bürgerkunde nehmen. Unser demokratisches System ist keine stumpe Diktatur der Mehrheit. Auch wenn die CDUlinge das meinen und verbreiten.

    1. Jeder hat das Recht, eine Minderheitsmeinung zu haben und zu vertreten. Ich denke manchmal darüber nach, was wäre wenn ein Volksentscheid sich für Atomkraft ausgesprochen hätte, nicht nur für einen Bahnhof?
      Wenn repräsentative Demokratie den Lobbys die Macht gibt, dann sind es in direkten Demokratie die Medien, also jene die sie kontrollieren. Das hat die Wahl wunderbar gezeigt. Viele der Ja-Sager träumen von der direkten Demokratie, mir verursacht sie Albträume.

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