Übergestülpte Fremdzukunft

Zu meinem letzten Artikel über Argumente für Stuttgart21 kam ein Kommentar von Maria Lehmann, der mein Hirn trotz Hitze in Bewegung gesetzt hat. Sie verglich das Zukunftsversprechen von S21 mit den „blühenden Landschaften“ Helmut Kohls. Ich versuche mich mal der Sache ohne Anti-S21-Polemik zu nähern, sodass es vielleicht auch für jemanden interessant ist, der diese Diskussion nicht verfolgt oder gar nicht von hier ist. S21 ist jedoch ein gutes Beispiel für eine allgemeine Beobachtung die ich gemacht habe.

„Dieses Projekt steht für Zukunft. Wer dagegen ist, ist gegen die Zukunft.“

Doch welche Zukunft? Richtig müsste es heißen: „ist gegen diese Zukunft“. In dem man die eigene Vision zur offiziellen, zur einzig richtigen Zukunft erklärt verallgemeinert man die Aussage und kann den Gegner auch allgemeine Zukunftsfeindlichkeit bescheinigen. Dummer retorischer Trick. Und viele fallen drauf rein. Ich fühle mich durch solche logischen Taschenspielerein beleidigt. Manchmal frag ich mich welche Zukunft sich deren Gestalter eigentlich überhaupt vorstellen? Welcher Vision oder Utopie folgen sie? Oder ist für sie der Weg das Ziel weil ihnen das erschaffen der Zukunft an sich von Nutzen ist? Manchmal hab ich das Gefühl von blindem Aktionismus. Hauptsache man macht irgendwas. Dann wird auch irgendwas passieren. Und wenn’s nicht klappt dann waren die Bedingungen unerwartet und man muss nachbessern, das kostet halt leider noch mehr Geld das man nicht hat. Aber wer will das halb fertige Projekt denn aufgeben, dann wäre der bisherige Weg mit seinen Kosten ja umsonst gewesen. Und wer weiß wie schlimm es geworden wäre wenn man gar nicht erst angefangen hätte? Und wenn dann andere dagegen sind liegt es daran, dass sie alles so behalten wollen wie es ist und sich gegen den Fortschritt stellen. Am besten nicht drauf hören, jedes große Projekt hatte seine Gegner und als es dann da war konnten sie auch nichts mehr dagegen machen. Schlimmer noch ist wenn Gegner Alternativen vorschlagen, denn damit drohen sie einem das Zukunftsmonopol streitig zu machen und womöglich die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Das gilt es zu verhindern, der wer die Zukunft baut kann sie auch lenken, am besten in die eigene Tasche. Den Gegner sollte man gar nicht erst ernst nehmen, ihm ja keinen Spalt in der Tür lassen sodass er dann seinen Fuß reinstecken kann. Gleich als zukunftsfeindliche Spinner diffamieren, die aus Spaß am Protest protestieren. Und wenn das Volk das dann immer noch nicht gut findet macht man halt Werbekampagnen und argumentiert irgendwas vor sich hin. Es ist auch egal, was man da sagt, da man das Projekt eh schon so weit vorangetrieben hat dass ein Abbrechen sehr teuer wäre. Und da das Volk eh nicht direkt befragt werden muss ist es eigentlich eh egal. Man verspricht einfach blühende Landschaften. Und wenn die dann nicht so richtig zum blühen kommen sind ja schon längst andere an der Macht die dass dann ausbaden müssen.

Ich werd doch wieder polemisch. Es ist nicht einfach sachlich bei der Sache zu bleiben wenn die sachlichen Argumente fehlen. Hätte die Vision von Stuttgart21 Hand und Fuß müssten keine so schwachsinnigen Werbekampagnen auf die Leute losgelassen werden. Und was die blühenden Landschaften betrifft: Ich finde es auch ohne sie schön dass wir wieder ein deutscher Staat sind. Es würde mir bei S21 leichter fallen es zu akzeptieren wenn die Kommunikation etwas ehrlicher wäre. Ich hasse es für dumm verkauft zu werden.

Ich hätte gerne eine Vision eines zukünftigen Stuttgarts das nicht nur noch mehr charakterlose Shopingmalls und Wohngebiete mit 70% gewerblicher Nutzung vorsieht. Für ein Stuttgart das den neu geschaffenen Raum im Sinne der Bürger nutzt und nicht von einem kleinen Klüngel auf dem Reisbrett entworfen wird wäre ich gerne bereit Opfer zu bringen, seien es Geld, Baustellenbelästigung oder Bäume. Ich bin nicht gegen die Zukunft. Alles was ich will ist mitgestalten.

Schon fertig: Stuttgart 21

Von den Katalanen können wir noch einiges lernen: Während wir uns wegen Stuttgart 21 an die Gurgel gehen, hat die Stadt Santa Perpètua de Mogoda das Projekt kurzerhand umgesetzt. Statt Zügen halten hier Motorräder, Montagsdemos sind stets feucht-fröhlich

Dabei wurde garantiert über den Bau einer Durchgangs- oder Kopftheke gestritten, aber am Ende blieb die Cerveceria über der Erde. Das neue Herz Europas schlägt in Katalanien.
Hier könnt ihr bedenkenlos (!) und unpolitisch Facebook-Fan von Stuttgart 21 werden.

P.S. Diesen Beitrag hat übrigens unsere Edelkommentatorin und Gastautorin Dora Asemwald geschrieben. We like it!

Glamouröses Loch

So wie ich es verstanden habe funktioniert das mit der Wirtschaft so, dass es immer wichtig ist Geld auszugeben, dass man nicht hat. Man leiht es von Banken, die es wiederum von anderen leihen und dann gibt es noch jene, die das ganze versichern und andere, die darüber wetten, ob es zurückgezahlt werden kann oder eher nicht so. Ziel solcher Konstrukte ist es, so kompliziert zu sein, dass keiner kapiert wo das Geld eigentlich herkommt und ob es überhaupt existiert. Da ja kein echtes Geld durch die Gegend gekarrt wird – ist ja heute alles virtuell – kann man da auch nicht mehr genau nachvollziehen, wem was nicht gehört. Ich bin beeindruckt wie erfolgreich durch wirre Verschleierungstaktik die virtuelle Natur des Geldes unter den Teppich gekehrt wird. Wenn ich nicht immer ausplaudern würde, dass ich virtuell bin, würde der Trick vielleicht auch bei mir gelingen.

Wohin mit all dem Geld?
Zurück zum Geld: Was macht man denn mit dem ganzen virtuellen Geld? Verprassen! Dazu ist doch Geld da, auch das auf dem Papier. Doch wohin mit dem ganzen Geld? Dieser Frage gehen die schlausten Köpfe in der Politik nach. Deren Leitsatz: Nicht kleckern, klotzen. Ein Großprojekt muss her. Man könnte zwar auch viele kleine Probleme lösen, aber das ist eher müh- als publikumswirksam. Kitas bauen und Kultur fördern macht zwar Bürger glücklich, aber das ist schnell vergessen da total unglamourös. So schreibt man keine Geschichte. Einen Bahnhof zu vergraben und das so entstandene Bauland zu verscherbeln ist da schon besser. Das macht zwar die Bürger nicht glücklich, dafür aber die alten Kumpels aus der Baubranche. Und bis zur nächsten Wahl haben die Bürger eh vergessen wer ihnen das ganze eingebrockt hat. Dass das ganze Projekt hinten und vorne nicht zusammenpasst und keiner weiß wie viel das Ganze wirklich kostet ist ja egal, passiert ja eh erst in der Zukunft. Bis dahin hat man ja genügend Zeit Ausreden zu erfinden.

Großprojekt mit Glamourfaktor

Was ich nicht verstehe: Wenn man schon so viel Geld, dass man nicht hat, in ein Prestigeprojekt stecken will, warum vergräbt man dann ausgerechnet einen Bahnhof? Pharaonen haben Pyramiden gebaut, die noch heute Millionen von Touristen begeistern. Wer wird in drei Tausend Jahren noch nach Stuttgart kommen und Stuttgart 21 bewundern? Schneller nach Ulm kommen – wo ist da der Glamourfaktor? Ein Neubaugebiet voll Investorenarchitektur wie wir’s schon am Pariser Platz bewundern können wird uns auch nicht in die Geschichtsbücher bringen. Was wir brauchen ist ein veritables Weltwunder! Und ich wette dass wir mit den Unsummen nicht vorhandenen Geldes, das Stuttgart 21 kosten wird, genau das erreichen können. Wenn wir schon zu graben anfangen, dann richtig! Wir graben das größte Loch der Welt: LOCH21. Wenn schon Größenwahn dann aber bitte mit Sahne. Den Exinhalt des Loches schütten wir auf den Monte Scherbelino über den Schutt des 2. Weltkrieges. Ein neues Skigebiet erfreut Bürger und Touristen, die Bewerbung für die Olympischen Winterpspiele  2022 macht wiederum Politiker und deren Kumpels in den Verbänden froh.

LOCH21: Ein Loch für alle.

Die Tunnels von Stuttgart 21 kommen nur den Kunden der Bahn zu gute, eine kleine privilegierte Klasse jener, die sich noch Bahntickets leisten können. Ins LOCH21 kann jeder starren: Das Volksloch ist es für alle da! Das motiviert den Bürger mitzuhelfen. Jeder kann am Wochenende seine Schaufel oder seinen Tagebaubagger packen und gemeinsam mit Familie und Freunden mit graben. Das fördert das Gemeinschaftsgefühl und sorgt für sportlichen Ausgleich. Das Projekt wird schnell die internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen und vielleicht auch Nachahmer finden. Aber wir freuen uns, wenn unsere Idee Schule macht – so lange unser Loch das größte bleibt. Schon mit dem Fernsehturm haben wir unsere architektonische Vorreiterstellung behauptet, mit LOCH21 werden wir in der Geschichte des Städtebaus ein neues Kapitel aufschlagen. Jetzt gilt es, den machthabenden Geldschiebern das Projekt schmackhaft zu machen, so dass die Pläne Stuttgart 21 ganz schnell in jenem Loch begraben werden, dass wir so dringend brauchen.

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