Der Soundtrack des Fortschritts

kommunalomat

Die zahlreichen Stuttgart-21-Baustellen werden in den nächsten Jahren die Lebensqualität in der Stadt mindern.“

Ob man dem zustimmt oder nicht, will der der Kommunalomat, ein Wahl-O-Mat zur Kommunalwahl am 25 Mai, wissen. Bei der Antwort auf diese Aussage sind sich fast alle Parteien einig. Fast. Die CDU geht als einzige Partei davon aus, dass die zu erwartenden Bahnhofsbeerdigungsbaustellen die Lebensqualität nicht mindern werden. Mir scheint, die CDU verfügt über eine ureigene Definition von Lebensqualität, die sich nicht mal dem freien Wähler oder Republikaner erschließt. Als alte Allesverstehenwollerin versuche ich mal, dieser Definition auf den Grund zu gehen:

Für Christdemokraten sind Baustellen was Tolles.

  • Da rollen Bagger, Maschinenlärm hallt durch den Kessel als Soundtrack des Fortschritts.
  • Schwarzarbeiter aus aller – insbesonders osteuropäischer – Welt bringen Multikultiflair auf unsere Straßen.
  • Staus und eingeschränkter Verkehr der Stadtbahnen entschleunigen das Leben.
  • Baustellenverkehr sorgt dafür, dass das Neckartor auch in Zukunft Deutschlandmeister bleibt – beim Feinstaub.
  • Unzählige Röhren, die sich durch die Innenstadt schlängeln, machen sichtbar, was sonst unter der Erde geschieht und sorgen somit für Transparenz.
  • Die Vorfreude darauf, irgendwann das Herz in der Mitte Europas zu sein, sorgt für gute Laune.
  • Die Milliarden, die dort ausgegeben werden, können nicht für anderen Unfug verbraten werden.

Vielleicht meint die CDU auch, dass aufgrund der bahntypischen Planung in den nächsten Jahren eh nichts passiert und somit auch keine Lebensqualitätsminderung zu befürchten sei.

Vielleicht haben die Kommunalomat-Betreiber aber auch einfach ein falsches Kreuzchen gesetzt, was ja auch schon passiert ist. Dann läge ich in meiner These oben wohl richtig falsch.

Immerhin hat die CDU angegeben, die Stadt solle sich nicht an Mehrkosten beteiligen. Soll die Bahn doch für das schöne Leben an der Baugrube selber zahlen!

 

Überfordert!

Backofen

Ich hab in der letzten Zeit ja öfters mal von den Stadtisten geschrieben, eine Gruppe von Stuttgartern, die in der Stadt was bewegen wollen. Gleich vorneweg: Ich bin da kein Mitglied. Das liegt daran, dass sie Virtuelle wie mich ausschließen. Man möchte lieber Menschen aus Fleisch und Blut um nicht unseriös rüber zu kommen, wie mir scheint. Trotzdem handelt es sich um eine interessante Idee, über die man jetzt auf deren Homepage mehr erfahren kann.

Wer Forderungen oder Parolen sucht, wird dort nicht fündig. Oben bleiben oder doch den Bahnhof vergraben? Ein Antwort findet man nicht. Das ist auch gut so. Mir wäre es etwas suspekt, wenn die Seite von vornherein ein  Forderungskatalog wäre, denn fordern kann man viel. Mir fiel da sofort eine ganze Menge ein, auch jenseits der Anerkennung der Virtuellenrechte, Weltfrieden und Sofortschokolade. Auch bei den letzten Wahlen ist mir diese Unart negativ aufgestoßen. Zur Kommunalwahl 2009 wurde auf Plakate geschrieben: „Stuttgart 21 stoppen!“. Das ihnen das nicht so einfach gelingen würde, ahnten die Grünen wohl schon vorher. Hat aber Stimmen gebracht. Und postelektoralen Unmut.  Die Linken forderten „Menschen vor Profit!“. Klingt gut. Kann man ja mal sagen. Dem würde keine andere Partei widersprechen. Die pirateske Forderung nach einem Wombat in jedem Haushalt zur letzten Bundestagswahl ist mein Liebling im bunten Reigen der Forderungen. Das Ganze scheint mir so, als wäre es ein Forderungsschwanzvergleich, in dem alles erlaubt ist, da eh niemand mehr erwartet, dass im Erfolgsfall noch irgend etwas davon zählt. So seien die Regeln des Wahlkampfs, sagen dann viele. Ich scheiß‘ auf die Regeln.

Als neuer Mitspieler in der Kommunalpolitik müssen sich die Stadtisten nun messen lassen.Viele wollen wissen, wo zwischen links und rechts sie zu positionieren sind, wie sie zu den großen Fragen der Stadt stehen und natürlich immer wieder, ob sie gegen den Erdbahnhof seien. Die Stadtisten geben keine leichten Antworten, sondern verweisen auf ihre Haltung, die sie auf ihrer Webseite zu allen möglichen urbanen Themen zum Ausdruck bringen. Wenn man das durchliest, kann man sehr gut erkennen, wo sie stehen, muss dabei aber beim Lesen das Hirn einschalten. Das wird sie einige Wähler kosten.

Die Forderei überfordert mich. Ich bin es leid, durch einen Sumpf populistischer Hanebüchnereien zu waten, freu mich über jede und jeden, die versuchen, irgendwie ehrlich zu sein und nicht dem Forderungsbedarf parolenfreudiger Vielleichtwähler nachzugeben. Die werden eh schon von den Oldschool-Parteien bedient. Hört sich ein bisschen an wie Piraten für Nicht-IT-Nerds. Nur dass die Stadtisten halt gar nicht erst über’s Kommunale raus wollen. Das solle Polit-Karrieristen abhalten, sagte mir ein Stadtist. Mir scheint, die verlieren lieber mit Anstand, als dass sie das Spiel der anderen mitspielen. Aber so richtig verlieren können sie ja gar nicht, weil die Wahl nur eins ihrer Standbeine ist. Sie wollen ja auch was in der Stadt bewegen, ganz ohne Gemeinderat, außerpolitisch sozusagen.

Ich werde das Ganze mal beobachten und hoffe, dass sie nicht den Mut verlieren, ihre eigene politische Kultur zu leben. Auch wenn es sie Stimmen kosten wird. Aber Haltung ist etwas, was man bewahrt, auch wenn’s mal nicht so opportun ist.

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