Unter den Dächern von Heslach

 

komisches hausArchitektur, so Schlauermeierportal Wikipedia, bezeichnet die Auseinandersetzung des Menschen mit gebautem Raum. Der Mensch in diesem Fall: Ich. Der gebaute Raum: Ein eigenartiges Ungetüm in der Bachwiesenstraße so weit am Rande des Stuttgarter Stadtteil Heslachs, dass sich nicht mal das Googlemobil reingetraut hat. Aber ich.

Dieses „Gebäude“ stellt Fragen. Zum Beispiel die zentrale Frage danach, welche Pilze Architekt und Bauherr im Wald hinter dem Haus (in dem die Gebeine Baader, Ensslins und Raspes ruhen) wohl gefunden und verzehrt haben. Die Mykologin in mir erwacht und  erkennt sofort, dass es sich bei der Bauweise um einen Makromyzeten handelt, auch unklugscheißerisch Großpilz genannt, mit dickem gelben Fuß und monumental großem, braunen Hut. Die Pilzhausbauweise wird bekanntlicherweise von blauhäutigen Waldbewohnern Belgiens favorisiert, hat sich aber wohl bis nach Heslach rumgesprochen.

Zurück zu den Fragen: Was für Menschen wohl in diesem fensterarmen Bau unter der schwerer Last eines kapitalen Dachs hausen? Was macht das Bauwerk mit deren Psyche? Welche Abgründe verstecken sich in der Historie dieses Hauses, welches wohl schon 1870 erbaut, jedoch ca. 100 Jahre später entstellt wurde? Welch düsteres Geheimnis verdeckt die braune Fassade, die sich reptilesk über das dominante Dach schuppt? Oder ist das Dach eine Puppe, unter der das Haus metamorphisiert? In was wird sich die Raupe verwandeln? Welch Schmetterling wird sich über Heslach erheben? Ein Stadtrandshoppingmall? Ein Hipsterheim, dass den Boden für die herannahende Gentrifizierungswelle urbar macht? Ein Internetturm der den obsoleten Fernsehturm verdrängen wird?

Ich beschließe, der Sache nicht auf den Grund zu gehen, da meine Phantasie blumiger ist, als die womöglich triste Realität, die sich hinter den vier Wänden und dem grotesk großem Dach verbirgt.

 

 

 

 

 

Polypropylen für die Wand

Dora-Regal

Neulich hab ich meine liebe Freundin Natascha getroffen, die gemeinsam mit ihrem Bruder Aleks eine Möbelfirma (Movisi) betreibt (Das an sich ist schon eine gute Geschichte, die vielleicht ein anderes mal erzählt wird). Ein neues Regal hätten sie entworfen, erzählte sie mir. Ein neues Regal? Wie viele Regale gibt es denn schon? Braucht die Welt noch mehr davon? Sollen sich die Leute doch solide Klassiker kaufen, die sie vererben können, oder bei Geldmangel einfach Bierbänke stapeln! Wenn’s um Design geht, bin ich eine verwöhnte Göre. Styling allein löst bei mir höchsten ein müdes Lächeln aus. Ich will ECHTE Produktinnovation, will Dinge, die schön und schlau sind, die Probleme lösen, langlebig sind, Ressourcen schonen und glücklich machen. Mal schauen, ob Natascha mich überzeugen kann. (Für die Freunde kurzer Bildschirmlektüre: Als gelernte Produktdesignerin kack ich jetzt mal auf die Regel, alles kurz zu fassen, und hol mal richtig zur Designkritik aus. Kein Bock drauf? Pech gehabt!)

Hier erst mal ein Video, in dem die beiden das Konzept vorstellen:

Das modulare System

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Ha! Auf den ersten Blick fällt mir gleich eine Schwachstelle auf: Raumausnutzung. Gemessen an der Größe gibt es nur wenig gerade Stellflächen, der Inhalt hängt gerne mal schräg in der Kurve. Für Orthogonalfetischisten der blanke Horror, Anthroposophen dürften vor Freude im Sechseck hüpfen.

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Trotz wilder Form: Regalböden sind bündig.

Das System ist beliebig durch identische Elemente zu erweitern. Gefällt mir, ist aber nichts Neues. Die dabei entstehenden Formen sehen jedoch spannend, fast organisch aus. Wie ein so lebendig daher kommendes Modularsystem immer noch so gut ineinander passen kann, ist mir ein Rätsel, welches die Designer sehr schön gelöst haben.

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Grundlegend basiert es ja auf einem hexagonalem Raster, aber durch die krummen Winkel entwickelt es eine eigenständige Ästhetik, die mal so richtig interessant ist. So funktioniert das System auch als dekoratives Raumobjekt.

Die Regale lassen sich auch als freistehende Wandelemente nutzen.

Die Module gibt es mit und ohne Rücken, in schwarz und weiß.

Das Material: EPP (Expandiertes Polypropylen)

EPP kennt man von den Boxen der Pizzalieferanten, wird aber auch viel in Autos verbaut. EPP ist  extrem stabil und trotzdem leicht: es besteht zu 95% aus Luft. Ein Element wiegt nur 700g (750g mit Boden). Damit ist das System für die Unterwassermöblierung ungeeignet.

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Der Partikelschaumstoff ist komplett ungiftig (sogar lebensmittelecht) und voll recyclebar. Das kann man von herkömmlichen Möbelbaumaterialien wohl kaum behaupten: Pressholz wie zum Beispiel MDF oder Spanplatten enthalten Formaldehyd, was Krebs erregt.

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Die leicht texturierte Oberfläche der Elemente fühlt sich seidig an.

EPP ist ein geniales Material für den Möbelbau. Movisi hat schon einige andere EPP-Möbel im Programm, die sich auch über Jahre hinweg bewährt haben.

Die Montage

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Einfach mit den Verbindungselementen zusammenstecken. Kein Werkzeug ist dabei nötig, außer man möchte die Verbindungselemente an die Wand schrauben, damit das Regal nicht auf dem Boden stehen muss. Durch das niedrige Gewicht der Elemente wird einem der Aufbau im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert.

Die Elemente lassen sich mein ein paar Handgriffen neu anordnen und erweitern.

Umnutzung

Die Elemente lassen sich leicht entfernen und zweckentfremden. Sie können in der Version mit Rücken auch gestapelt werden oder als Hocker genutzt werden.

20130612085541-Stackable_Build_shelfGäbe es noch einen Deckel dafür, könnte man damit sogar Pizza liefern!

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Fazit: Schlau und schön!

Ich such schon mal eine Wand in meiner Wohnung, die noch ein Regal vertragen könnte.

Der Haken: Noch wird das Regal nicht produziert. Es handelt sich um ein Crowdfunding-Projekt, bei dem man vorbestellen kann. Wenn genügend bestellt wurde, können Natascha und Aleks loslegen. Ich freu mich schon mal vor.

Nachtrag:

Der Betrag von $ 100.000 ist zusammengekommen, die Werkzeuge für die Produktion gebaut werden. Ich freu mich schon auf mein Regal!

Hier kann man bestellen, oder einfach nur Gefallen bekunden (Das hilft auch schon):

indiegogo.com/projects/build-modular-furniture

Und hier gibt’s mehr zu erfahren:

movisi.com

hellobuild.com

facebook.com/movisi.build

facebook.com/movisi.furniture

Designer: Jack Godfrey Wood, Tom Ballhatchet. Großes Lob!

Volle Windkraft voraus!

Fernsehturmkraftanlage 2

Klingt wie erster April, ist aber fünf Tage früher: Der Stuttgarter Fernsehturm soll aus Brandschutzgründen für Besucher geschlossen werden. Nach 57 Jahren ist irgend jemandem aufgefallen, dass der einzige Fluchtweg im Brandfall unzureichend sei, und dafür will natürlich keiner die Verantwortung übernehmen müssen. „ … ich konnte nicht anders handeln, denn der Turm darf nicht zu einer Todesfalle für bis zu 200 Menschen werden“, so der neue OB Fritzle Kuhn. Hört sich verantwortungsvoll an. Doch was steckt wirklich dahinter?

Ich habe meine V-Leute im Rathaus ausgequetscht, die die Geschichte in ein ganz anderes Licht gerückt haben. Drahtzieher hinter der Maßnahme, da sind sie sich alle einig, ist die Windkraftmafia. Einem geheimen Papier zu Folge ist geplant, den Fernsehturm bis 2017 in eine gigantische Windkraftanlage zu transformieren. Da stören Besucher natürlich.

Dank eines größeren Sponsors aus der Region sollen übrigens die drei geplanten Rotorblätter von einem Ring umgeben und nachts beleuchtet werden.

Für ewiggestrige Zukunftsverweigerer gibt’s schon ein Symbol für Demos, auch gut als Betroffenheitsfacebookprofilbildchen zu gebrauchen:

fernsehtumlogo

Traurige Dekorationsmenschen

Und weiter geht’s mit der Serie über Blogs, die mir gefallen. Unhappy Hipsters zeigt moderne Architekturfotografie mit Dekorationsmenschen und erfindet deren traurigen Geschichten. So bekommt die ansonsten meist kühle Architekturfotografie noch ein Päckchen Melancholie oben drauf, was diesen Blog von unzähligen anderen mit den selben Bilder sehr positiv abhebt.

The Ikea room so overwhelmed her that she abdicated all possessions (save a woven basket) and embarked on a journey of suburban foraging. (Photo: Joao Canziani; Dwell)
They’d never forgive their parents for confining them to that midwestern cornfield—who cares if the horizon so perfectly echoed the multiple rooflines. (Photo: Luc Boegly; ArchDaily)