Fünf Hektar Zukunft

Wie soll die Stadt der Zukunft aussehen? Städteplaner, Futurologen und neugierige Stadtbewohnerinnen wie ich stellen sich diese Frage. Visionen dazu hab ich selbst schon zuhauf. Und wie das so mit Visionen ist, scheitern sie meist an dem, was man gemeinhin als Realität bezeichnet. Städte wachsen meist seit Jahrhunderten vor sich hin und sind ziemlich widerstandsfähig, was Veränderungen betrifft. Nur selten kommt es vor, dass man auf einer Tabula Rasa ganz von vorne anfangen kann, ohne sich mit etwaigem Bestand rumärgern zu müssen. Krieg, Naturkatastrophen und Großbauprojekte bieten die Chance, bei Null anzufangen.

In der Stuttgart wird derzeit versucht, den Hauptbahnhof zu vergraben. Sollte das eines Tages mal gelingen, dann werden 85 Hektar (ca. 120 Fußballfelder) Fläche zur städtischen Bebauung frei. Am erhofften Rosensteinquartier wird schon seit 1993 rumgeplant, die ersten Häuser sollten 2025 gebaut werden. Falls der Bahnhof 2021 in Betrieb gehen sollte. Falls. Doch daran glaubt nicht einmal mehr die Bahn*.  Man merkt: Stadtplanung ist nichts für Ungeduldige.

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Wenn ich mir Stadtplanung nach Stuttgarter Art so anschaue, dann graust es mir schon mal im Voraus. Die architektonische Monokultur im Europaviertel zeigt, was uns so blüht. Okay, es gibt viele Menschen, denen es dort schon irgendwie gefällt, die das Rumlungern in Shopping Malls  für „urban lifestyle“ halten und denen ein warmer Starbuckspappbecher in der Hand ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Ich darf da nicht immer von mir und meinem Umfeld ausgehen, das man am ehesten in die Schublade „Alternativ“ stecken könnte. Ich hätte am liebsten kleinteilige, individuelle Bebauung mit vielen Nischen für Kunst und Kultur. Gute Stadtplanung trägt allen Bürgern Rechnung, ermöglicht ein gesundes Miteinander unterschiedlichster Lebensentwürfe. Auch wenn diese unter freien Marktbedingungen wenig Chancen haben, sich zu entfalten.

rosenstein

Um den städtebaulichen Wünschen der Bürger Rechnung zu tragen, gibt es ein informelles Bürgerbeteiligungsverfahren. Damit das Rosensteinquartier auch Platz für „alternative“ Konzepte bieten kann, fordern die  „Stadtisten“ dafür symbolische 5 der 85 Hektar und haben dazu eine Agenda beim Beteiligungsverfahren eingereicht. Damit das Ganze an Gewicht gewinnt, rufen sie soziale und kulturelle Gruppen und Initiativen dazu auf, die Agenda mitzuunterzeichnen. Aber auch jeder einzelne kann die Agenda hier ideel unterstützen:

Agenda RO5ENSTEIN

Mir ist es lieber, jetzt den Mund aufzumachen, als im Nachhinein zu lamentieren, wie doof das neue Viertel sei. Auch wenn ich wahrscheinlich schon ziemlich alt sein werde, wenn es Gestalt annehmen wird. Die Stadt wurde zu lange von den Interessen meistbietender Investoren geprägt.


Noch ein paar Anmerkungen

  • Ich betrachte die Forderungen nach fünf Hektar als symbolisch. 50.000 Quadratmeter Alternativenghetto inmitten steriler Europaviertel-Style-Wohnanlagen machen mir etwas Angst. Da hätte ich es lieber geschnitten als am Stück. Ich wünsche mir eine ordentliche Durchmischung, städtebaulichen Pluralismus.
  • Das Rosensteinquartier ist Teil des Rahmenplans Stuttgart 21. Darum passt es vielen Gegner des Projekts nicht, sich in die Planung einzubringen. Ich bin auch gegen das Projekt, akzeptiere aber zähneknirschend, dass damit angefangen wurde, es umzusetzen. Sollte es je fertig werden, möchte ich, dass dort ein lebenswertes Viertel entsteht.
  • Das neue Viertel soll nach „urbanen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten“ entwickelt werden. Das geht aber nur, wenn das 2015 eingeführte Konzeptverfahren angewandt wird. Und das kostet die Stadt viel Geld. Geld, dass sie am Ende der Bahnhofstieferlegung vielleicht gar nicht mehr hat. Dann gilt wieder das bisherige Stuttgarter Stadtplanungsverfahren „Wer zahlt, bestimmt“.

Der Soundtrack des Fortschritts

kommunalomat

Die zahlreichen Stuttgart-21-Baustellen werden in den nächsten Jahren die Lebensqualität in der Stadt mindern.“

Ob man dem zustimmt oder nicht, will der der Kommunalomat, ein Wahl-O-Mat zur Kommunalwahl am 25 Mai, wissen. Bei der Antwort auf diese Aussage sind sich fast alle Parteien einig. Fast. Die CDU geht als einzige Partei davon aus, dass die zu erwartenden Bahnhofsbeerdigungsbaustellen die Lebensqualität nicht mindern werden. Mir scheint, die CDU verfügt über eine ureigene Definition von Lebensqualität, die sich nicht mal dem freien Wähler oder Republikaner erschließt. Als alte Allesverstehenwollerin versuche ich mal, dieser Definition auf den Grund zu gehen:

Für Christdemokraten sind Baustellen was Tolles.

  • Da rollen Bagger, Maschinenlärm hallt durch den Kessel als Soundtrack des Fortschritts.
  • Schwarzarbeiter aus aller – insbesonders osteuropäischer – Welt bringen Multikultiflair auf unsere Straßen.
  • Staus und eingeschränkter Verkehr der Stadtbahnen entschleunigen das Leben.
  • Baustellenverkehr sorgt dafür, dass das Neckartor auch in Zukunft Deutschlandmeister bleibt – beim Feinstaub.
  • Unzählige Röhren, die sich durch die Innenstadt schlängeln, machen sichtbar, was sonst unter der Erde geschieht und sorgen somit für Transparenz.
  • Die Vorfreude darauf, irgendwann das Herz in der Mitte Europas zu sein, sorgt für gute Laune.
  • Die Milliarden, die dort ausgegeben werden, können nicht für anderen Unfug verbraten werden.

Vielleicht meint die CDU auch, dass aufgrund der bahntypischen Planung in den nächsten Jahren eh nichts passiert und somit auch keine Lebensqualitätsminderung zu befürchten sei.

Vielleicht haben die Kommunalomat-Betreiber aber auch einfach ein falsches Kreuzchen gesetzt, was ja auch schon passiert ist. Dann läge ich in meiner These oben wohl richtig falsch.

Immerhin hat die CDU angegeben, die Stadt solle sich nicht an Mehrkosten beteiligen. Soll die Bahn doch für das schöne Leben an der Baugrube selber zahlen!

 

Hauptbahnhof womöglich für immer geschlossen.

Heut morgen mach ich mein Zeitloch auf und finde diesen schönen Artikel aus dem Jahr 2063. Offensichtlich werden wir auch in Zukunft die gleichen Probleme haben:

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Drohender Untod

Apropos Tod: Auch die Bundesregierung lehnt, wie heute in der Presse zu lesen, die Zahlung der Mehrkosten des Großwahnprojektes Stuttgart 21 für die Bahn ab. Ramsauer reicht eine Leiche im Keller, und die liegt in Berlin. Alternativen sollen geprüft werden, so die Regierung. Kein Wunder, die Kosten explodieren schon im Milliardenbereich, bevor so richtig losgebuddelt wird. Das Todesurteil: Unwirtschaftlichkeit – ein Schreckgespenst,  gefürchteter als mangelnder Brandschutz oder Rückbau der Kapazität. Weder Stadt, Land noch Bund sind bereit, die Kosten in unbestimmter Höhe zu decken. Stuttgart 21 ist tot. Es hat den Löffel abgegeben, ins Gras gebissen oder ist – ganz pietätvoll – einfach entschlafen.

Es reichen Grundkenntnisse der Zombologie um zu wissen, dass Tote nicht ruhen. „If there is no room in hell, the dead will walk the earth.“, ein schönes Zitat aus Dawn of the Dead von George Romero inspiriert die Phantasie der Tunnelparteien unseres Gemeinderats, die sich gestern in einer Resolution dazu bekannt haben, weiter am Zombiebahnhof festzuhalten. Laut ihnen gäbe es keinen sachlichen Grund, das Projekt weiter zu verzögern oder gar zu verhindern. Ich bin mal gespannt, mit welchem Voodoo-Zauber sie die Finanzierung des Milliardengrabs ermöglichen wollen. Es muss wahrlich große Liebe für das Genre des Zombie- und Endzeitfilms sein, die sie dazu treibt, Stuttgarts Herz durch Bauruinen vernarben und blutige Wunden in den Haushalt reissen zu wollen.

Mir fallen dazu ein ganzer Haufen grusliger Verschwörungstheorien ein, die erklären, wie die Mehrheit des Gemeinderats vom Wahn besessen oder vom Teufel geritten werden. Ich plädiere dafür, einen Exorzisten ins Rathaus zu schicken und mit den Spuk ein Ende zu setzen, damit die Toten endlich zur Ruhe kommen.

PS: Geforderte Alternativen können wir schnell bedienen: Loch 21

PPS: Soeben in den Nachrichten: Ramsauer auch von Zombieseuche befallen, er hat alles dementiert. Der Bund stünde voll und ganz hinter dem Zombiebahnhof. Wer ihn bezahlen soll, hat er aber leider nicht rausgerückt.

PPPS: Habe soeben erfahren, dass Claus Schmiedel die Zombieseuche verbreitet hat.

Nein zur Demo-Maut!

Kürzlich habe ich auf meiner Pinwand in Facebook einfach mal behauptet, der Stuttgarter OB-Kandidat Turner wolle eine Demo-Maut von 6,10 € einführen. Kann man ja mal dreist behaupten – Behaupten ist ja schrecklich en vogue, zumindest was Turners eigenen Wahlkampf angeht. Ein Kommentator meiner Behauptung mochte die Idee, er forderte die Maut für „Demonstranten welche sich im Geschäft krank melden ohne Grund und keine echte Meinung zu dem Thema der Demonstration haben!!!“. Da wir unsere plutokratische Grundordnung vor Bürgerwillkür schützen müssen, plädiere ich für die Schaffung der Demokratie-Maut!

  • Demo-Maut: € 6,10. Zuschlag für Plakat: € 12,20, Trillerpfeife: € 15,40, Vuvuzela: € 32,60,  Schwabenstreich: €3,20 Zuschlag. Montagszuschlag:60%
  • Infoblätter auf Demos: € 12,30 pro aufgelistetem Fakt. Haltlose und erlogene Fakten sind von der Maut befreit.
  • Wahlkampf-Maut: € 610,– pro Behauptung. Hanebüchene Behauptungen sind um  bis zu 80% reduziert. Instrumentalisierte Kinder geben 30% Rabatt. Verwendung lokaler Backwarenspezialitäten auf Werbemitteln: 20% Rabatt.
  • Die Freistellung von der Maut für wirtschaftsrelevante Kandidaten ist ja wohl selbstverständlich!
  • €12,80 Sozialromantiker-, Öko-Spinner- und Gutmenschen-Maut
  • Sinnlose Forderungen wie Brandschutzkonzepte, Baugenehmigungen, Einhaltung von Kostenrahmen werden mit € 6.100,– Fortschrittsfeindlichkeits-Maut belegt.
  • € 61,– Bürgerbeteiligungs-Maut
  • Wahlmaut: je weiter unten das Kreuzchen, desto teurer wird’s

Nette Zusammenfassung Turners Wahlkampfaussagen gibt’s in der Stuttgarter Zeitung: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgarter-ob-wahl-streit-um-city-maut-und-parkgebuehren.811878d2-61e8-40cb-b1f5-da5c54af2aa5.html.  Meisterhaft in Behaupten hanebüchener Theorien, da kann selbst ich mir eine Scheibe von abschneiden: http://www.keinecitymaut.de/

Harte Fakten und der Erdbahnhof

 

Der Streit um den Erdbahnhof geht weiter, wie man auf dieser Litfasssäule im Stuttgarter Süden unschwer erkennen kann. Harte Fakten beherrschen die Diskussion, wie eh und je. So schnell wird’s in unserer Stadt nicht langweilig. Es gibt sogar eine Neuauflage der Parkbesetzung, diesmal im Rosensteinpark. Hoffentlich gibt’s auch noch mal eine Schlichtung und eine noch unverständlichere Volksabstimmung bei der man neben „ja“ und „nein“ auch mit „vielleicht“ auf die Frage antworten kann, ob nun S21 oder dessen Gegner doof seien. Ich halte euch auf dem Laufenden!

Unter Frauen

Dass ich als Virtuelle nicht so einfach wo aufkreuzen kann, sollte jenen, die mich kennen, schon klar sein. Ich brauch dazu immer fleischliche Helfer, die es verstehen, den materiellen Raum mit ihrer Präsenz  zu füllen, die mich zeichnen, die für mich die Maus schieben und andere eher greifbare Dinge erledigen, die meinen Gedanken Form geben können. Meine letzte Beteiligung an einer Ausstellung war mal wieder so ein Fall: Im Frauenkulturzentrum Sarah im Stuttgarter Westen gab’s die Ausstellung „Kompromisslos oben bleiben“, die sich dem kreativen Widerstand gegen das Großprojekt Stuttgart 21 widmete. Passt!, dachte ich mir, hab ich doch einen nicht geringen Teil meiner Kreativität für das Stänkern gegen den lokalen Größenwahn eingesetzt, Lochinitiativen gegründet und wie die Wilde gebloggt. Normalerweise ist das mit den Ausstellungen ja kein Problem, ich sag einfach meinem Zeichner er solle meine Arbeit ausdrucken, rahmen und aufhängen und am besten noch die Rede halten. Hier jedoch gab’s ein kleines Problem: Ins Frauenkulturzentrum dürfen, wie der Name schon sagt, nur Frauen rein – ein Kriterium, an dem er scheitert. Aber wer sagt eigentlich, dass mein Zeichner immer alles für mich tun muss? Es ist sowieso höchste Zeit, dass ich mich von ihm mal emanzipiere. Da kam’s mir sehr zu pass, dass meine liebe Künstlerkollegin Karin Rehm dort auch ausstellt. Nicht nur, dass einige Arbeiten von uns gemeinsam erstellt wurden, sie ist auch erfahren in der Virtuelleninkarnation, da sie die materielle Vertreterin meiner Freundin Thea Schattenwald ist. Da ich gebeten wurde, eine Eröffnungsrede für die Ausstellung zu schreiben, habe ich dies auch getan und Karin mitgegeben. Der Abend hatte eine wunderschöne Stimmung, doch schaut euch die Bilder am besten selbst an. Ein paar der Bilder sind auch von der Finissage.

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Die Rede, die Karin für mich gehalten hat:

Liebe Gäste, Es waren gute Argumente, die mich motivierten, politisch zu werden – und zwar jene guten Argumente für Stuttgart 21, die angeblich überwiegen sollten. „Es stimmt, dass ein Teil des Schlossgartens über Jahre hinweg Baustelle sein wird. Es stimmt aber auch, dass in einer Großstadt Baustellen für den Erneuerungswillen ihrer Bürger stehen.“ Das war im Juni 2010. Wer erinnert sich noch an die Kampagne? Mir liegt sie zu schwer im Magen um sie verdaut zu haben. Zuvor verfolgte ich das Widerstandstreiben mit Sympathie, beschränkte mein Engagement jedoch auf die Initiative Loch 21. Bislang dachte ich ja, meine fachliche Unkenntnis wäre ein schlechte Basis dafür, mein Maul zum Thema aufzureißen. Aber mit dieser Verdummungs-Kampagne wurde mir klar, dass Sachlichkeit in der Bahnhofsdiskussion dünn gesät war. Meine Hemmung, mich einzumischen, schwand. Ich fing an, mich in meinem Blog für das Thema zu engagieren. Der Zuspruch vieler Leserinnen und Leser bekräftigte mich. Der Widerstand kam im Sommer 2010 so richtig in Fahrt und brachte mehr Leute auf die Straße als die derzeitige Fussball-WM. Ich war begeistert vom kreativen Reichtum des Widerstands – man bedenkte den Bauzaun – und trug meinen Teil dazu bei. Am 30.9. änderte sich die Stimmung, wurde verbitterter und ernster. Mappus wollte Bilder schaffen als er die Polizei dazu veranlasste, mit aller Härte gegen Demonstranten vorzugehen. Er wollte den Widerstand provozieren, um ihn als militant darzustellen. Er scheiterte an unserer bedingungslosen Friedlichkeit. Wir schafften es ein Gegenbild zu erzeugen, welches dem Ministerpräsident letztendlich das Genick brach. Spätestens da wurde klar, dass es im Streit um den Tiefbahnhof nicht um Leistungsfähigkeit oder Kosten ging, sondern um Bilder.

Im Herbst folgte die sogenannte Schlichtung und sollte Sachlichkeit vortäuschen.  Dort schlugen sich die großen Köpfe der Befürworter und Gegner – übrigens alles Männer außer Gönner und Dahlbender – die Argumente um die Ohren und lenkten von grundsätzlichen Fragen ab. Wie zum Beispiel der Frage danach, wer das eigentlich alles bezahlen soll oder ob ein milliardenteurer Bahnhofsneubau – K21 oder S21 – überhaupt notwendig sei. Die Kreativität des Widerstands zeigte sich ein weiteres Mal vor der Landtagswahl, in der es galt, das wahre Gesicht von Mappus zu zeigen. Das ist uns gelungen, die CDU musste nach 58 Jahren Herrschaft den Posten räumen, die Grünen Protagonisten des Widerstands standen plötzlich in der Regierungsverantwortung. Sie waren nun gezwungen, eine landesweite Volksabstimmung durchzuführen, die so ausgelegt war, dass die Projektgegner kaum eine Chance hatten, sich durchzusetzen. Auch hier sollte wie bei der Schlichtung Demokratie vorgetäuscht werden, und dieses mal ist es ihnen gelungen. Und wieder versuchte der Widerstand, mit all seiner Kreativität die Argumente gegen das Großprojekt unters Volk zu bringen und fuhr dabei mit Bussen durch das Land. Dem steuersubventionierten Wahlkampf der Befürworter stand eine Truppe Ehrenamtlicher mit viel Kreativität und wenig Geld entgegen. Die Befürworter ließen sich erst gar nicht auf die Sachebene ein und führten einen emotionalen Wahlkampf, der es schaffte, viele Bürger gegen den Ausstieg aus der Finanzierung des Projektes zu stimmen. Also letztendlich für Stuttgart 21. Und das wird jetzt, wie es scheint, auch gebaut. Hat der Widerstand versagt?

Wir haben es nicht nur geschafft, die CDU-Herrschaft zu beenden. Wir haben auch für ein neues Bewusstsein vieler Bürger gesorgt. Viele apolitische Bürger wie ich wurden aufgeweckt, haben sich vernetzt, wurden kreativ und haben sich engagiert. Auch wenn wir keine Chance gegen das Kapital hatten, das hinter Stuttgart 21 steht, haben wir eine gehörige Menge soziales Kapital aufgebaut, dass man uns nicht nehmen kann. Es sind die Freundschaften, die wir geschlossen haben, die Erlebnisse, die uns verbinden, es ist das gemeinsam gewachsene Bewusstsein, dass wir eine Stimme haben und gehört werden wollen. Der Widerstand hat unsere Kreativität geweckt und es uns ermöglicht, sie zu nutzen. Ein Abend wie dieser hier ist für mich Grund genug zu sagen: Der Widerstand hat nicht versagt.

Fotos: Karin Rehm,
Titelillustration: Martin Zentner,
Vorlage für Titelillustration: Julia Doebele,
Hintergrund Titelillustration: Karin Rehm

Die große Wunde

Heute ist es wohl so weit: Der Mittlere Schlossgarten Stuttgarts wird geräumt, damit Platz für die Baugrube des Erdbahnhofs Stuttgart 21 geschaffen werden kann. Dabei im Weg: Die wunderschönen alten Bäume des Parks. Die sollten eigentlich alle verpflanzt werden, das hat die Bahn als Resultat der Schlichtung versprochen. Das Versprechen werden sie brechen.

Die Bäume werden für den neuen Bahnhof geopfert. Ob das Opfer gerechtfertigt ist oder nicht, darüber sind sich die unterschiedlichen Parteien nicht einig. Aber eins ist klar: Die Zerstörung wird eine tiefe Wunde in die Mitte der Stadt schlagen, auch symbolisch. Das kann auch niemandem egal sein, der für den Neubau des Bahnhofs ist.

30.000 Bürger haben sich bei den Parkschützern eintragen lassen und heute ist der Tag, an dem es um die Wurst geht. Ich hoffe, dass viele Leute, die sich in den letzten Jahren gegen die Zerstörung des Parks ausgesprochen haben, heute kommen, um zumindest Abschied zu nehmen. Wahrscheinlich sind nur wenige bereit, aktiv gegen die Räumung vorzugehen, aber es wäre ein gutes Bild, wenn so viele Menschen wie möglich anwesend wären und zeigen, dass es uns nicht egal ist, wenn so etwas geschieht. Wir werden der Übermacht der Polizei nichts entgegensetzen zu haben, aber wir können Zeugen sein und zeigen, dass wir um unsere Bäume trauern.

Ich wünsche mir, das auch jene dort anwesend sein werden, die verantwortlich für die Zerstörung sind. Auch ihnen kann es nicht egal sein, wenn wir dieses Opfer für ihre Zukunft bringen. Auch die Landesregierung, insbesondere Kretschmann, täten gut daran. dieser Hinrichtung beizuwohnen, um zu sehen und Anteil daran zu haben, wenn der Seele der Stadt eine tiefe Wunde zugeführt wird.

Ich wünsche mir, dass alles gewaltfrei abläuft, und ebenso wünsche ich mir, dass die Rodung in letzter Sekunde verhindert werden kann.

Ein Ort für bewegte Bürger

Der Volksentscheid hat ergeben: Das Land Baden-Württemberg soll nicht aus der Finanzierung des Großbauprojektes Stuttgart 21 aussteigen. Für die Bahn bedeutet das der Startschuss, mit dem Projekt richtig loszulegen. Viele Gegner fassen dies als Legitimation für den Bau des Bahnhofs auf, auch wenn seine Finanzierung noch nicht geklärt ist. Andere wollen bis aufs Letzte Park und Bahnhof verteidigen. Währenddessen wird das neue Stuttgart geplant. Vor lauter Bahnhof hat keiner bemerkt, dass jetzt schon ganze Häuserblöcke wie im Gerberviertel abgerissen werden, um Shoppingcenter und Büroleerstand hinzuklotzen..Das Gebiet, auf dem heute noch Gleise liegen, wird neu geplant und keiner interessiert sich so richtig dafür. Wenn das neu gefundene politische Bewusstsein in Radikalisierung oder Rückzug verläuft, haben wir nichts gewonnen.
Plattform für Aktive
Es gibt auch einen dritten Weg: Unsere Stadt braucht eine Bürgerbewegung, die sich jenseits der Bahnhofsfrage für eine bürgerfreundliche Stadtentwicklung engagiert. Und diese Bewegung muss offen und sichtbar sein. Sie braucht einen Ort, der als Anlaufstelle und Dialogzentrum für Bürger dient, die die Zukunft ihrer Stadt nicht den Großinvestoren überlassen wollen. Ein solchen Ort gibt es schon, doch der steht auf verlorenem Boden: „Unser Pavillon“ steht derzeit dort, wo ab Januar die Bagger rollen werden. Der containerartige Bau dient als Informations- und Ausstellungsplattform dieser neuen Bürgerbewegung und ist nicht nur Anlaufstelle für Aktivisten und Künstler, sondern auch interessierte Passanten. Bislang wurde der von Stadt und Land nur geduldete Pavillon mit viel persönlichen Engagement und Herzblut von ein paar Leuten ehrenamtlich betrieben. Doch um den Pavillon an einem neuen Ort auf einer soliden, legalen Basis weiter zu betreiben, bedarf es der weiteren Unterstützung von uns allen. Dazu sollen auch Gespräche mit der Stadt über finanzielle Unterstützung und einen geeigneten Standort geführt werden. Das Team vom Pavillon sucht deshalb engagierte Leute, die sich an der Weiterentwicklung des Pavillonkonzepts beteiligen wollen.
Frische Ideen braucht das Land
Ich persönlich würde mir ja wünschen, wenn insbesondere junge Leute dem Aufruf folgen würden. Sie sind es, die die Früchte ihrer Arbeit ernten können, denn es handelt sich um langfristige Prozesse. Sie müssen neue Wege finden, wie Bürger in die Stadtentwicklung besser integriert werden können. Und dazu brauchen wir frische Ideen und die Bereitschaft, das Gewohnte auf den Kopf zu stellen und unkonventionelle Lösungen zu suchen. Wenn wir uns auf die Ideen der Politik verlassen, haben wir nichts dazu gelernt. Als engagierter Bürger reicht es nicht, alle paar Jahre ein Kreuzchen zum machen. Sonst kommt das nächste Stuttgart 21 bestimmt.
Noch ein Hinweis: Es eilt! Wenn ihr Interesse habt, dann meldet euch so schnell wie möglich beim Pavillon:

Noch ein paar Infos rund ums Thema:

  • Eine interessante Bürgerbewegung in Stuttgart nennt sich „Meisterbürger“. Ein Bürgernetzwerk, dass sich zum Ziel setzt mitzuregieren, anstatt regiert zu werden.
    http://meisterbuerger.org/
  • Hier informiert die Stadt darüber, wo gerade gebaut wird:
    http://stuttgart-baut.de/
  • Das größte städtebauliche Projekt im Zuge von Stuttgart 21 ist das Rosensteinviertel. Auf der Webseite steht zu oberst: „Wir gestalten unsere Stadt von morgen“. Derzeit befindet sich das Projekt in der „Inspirationsphase“. Diesen Mittwoch, dem 14. Dezember, startet eine Veranstaltungsreihe bei der es die Möglichkeit zur Diskussion geben soll. Es lohnt sich den vorgesehenen Beteiligungsprozess genau unter die Lupe zu nehmen.
    http://www.rosenstein-stuttgart.de/
  • Das passiert, wenn Investoren die Stadt gestalten:
    http://www.das-gerber.de/

Hier der Aufruf von der Facebookseite von „Unser Pavillon“:
https://www.facebook.com/unser.pavillon

Aufruf zur Mitwirkung

Die junge Bürgerbewegung in Stuttgart hat keinen Grund zur Resignation, sie muss jetzt mit frischer Kraft weitergehen, dazu haben wir einen Auftrag und eine historische Verpflichtung! Wir wissen, dass es um mehr als einen Bahnhof geht und daher haben wir als Bürgerbewegung, die knapp die Hälfte der Stuttgarter Bevölkerung vertritt, einen legitimen Anspruch auf eine dauerhafte, prominente Präsenz im öffentlichen Raum.

Lasst uns diese Chance nutzen und ein starkes Projekt mit unserer geballten Kompetenz initiieren: Aus dem Projekt Unser Pavillon können wir ein gemeinsames, längerfristiges und finanziertes Projekt heraus entwickeln! Das geht jedoch nur, wenn sich genügend Menschen zusammentun und ihre Kräfte bündeln.

Daher unsere Frage: Wer kann sich vorstellen bei einem zukünftigen Projekt in Anknüpfung an das aktuelle Pavillon-Projekt mit einem neuen, gemeinsam erarbeiteten Konzept aktiv dabei zu sein?

Und noch zu guter Letzt: Das Hemdchen, das ich auf dem Bild trage, hat meine Freundin, die Künstlerin Karin Rehm erfunden. Ich werde es bald zum Kauf in ähnlicher Form feilbieten. Karin hat mir auch dabei geholfen, diesen Text zu formulieren. Sie ist Urpavillonistin, hat ihn mit eigenen Händen mit aufgebaut und unzählige Mal dort „Dienst geschoben“.

Weiterärgern und fertig bauen.

Als gute Demokratin, so habe ich  vielfach gehört, darf ich jetzt nicht mehr gegen ein vom Volk legitimiertes Bauprojekt auf die Straße gehen, muss die Kröte schlucken und das Maul halten. Es sei dahin gestellt, was ich von der Volksabstimmung über die Bahnhofsfrage halte. Aber klar ist: Es wird gebaut. Zumindest mal damit angefangen. Bis das Geld ausgeht. Einerseits sagt die Bahn, dass 4.500.000.000 Euro ausreichend seien. Andererseits sagte Bahnchef Grube aber auch, dass sich das Land wie alle Projektpartner an etwaigen Mehrkosten beteiligen muss. Ministerpräsident Kretschmann behauptet jedoch, dass das Land keinen Cent mehr als der veranschlagte Anteil zahlen wird. Gebaut soll trotzdem werden, obwohl keinem klar ist, wer die Rechnung dann zahlt, die garantiert kommen wird. Und da niemand gerne vor Bauruine 21 stehen möchte, wird im Falle von Kostenlimitüberschreitung halt doch Landesgeld in den Schlund des Erdbahnhofs verschwinden, denn keiner hat dann die Eier zu fordern, die Grube wieder zuzuschütten.

Als gute Demokratin schickt es sich vielleicht nicht, weiter gegen S21 zu demonstrieren, aber für eine klare Aussage zur Finanzierung kann man ruhig weiterhin auf die Straße gehen.

Wenn die Bahn ihren eigenen Zahlen glauben würde, könnte sie ja ohne Probleme die Mehrkosten übernehmen, die es aus ihrer Sicht nie geben wird. Es mag gängige Praxis sein, Projekte mit zu knapp kalkulierten Kosten politisch durchzusetzen, aber ich sehe nicht ein, dass die Bürger dieses Landes dafür aufkommen müssen. So lange seine Finanzierung nicht geklärt ist, darf mit dem Bau des Erdbahnhofs nicht angefangen werden.

Mich hätte übrigens interessiert, wie das Land abgestimmt hätte, wenn die erdbahnhofsfreudige Mehrheit direkt dafür gerade stehen müsste. Wie viel Privatvermögen wäre jeder von denen bereit, in ihre Version der Zukunft von Stuttgart zu investieren? Leider herrscht die Einstellung, dass irgend jemand schon die Rechnung bezahlen wird. Dieser Gedanke ist Vater unserer Eurokrise und widert mich an.

Als gute Demokratin akzeptiere ich des Volkes Wille, werde aber nicht aufhören, wach zu bleiben. Stuttgart wird sich in den nächsten Jahrzehnten drastisch ändern. Der Ruf nach mehr Partizipation des Volkes wurde laut, die Politik denkt über Vereinfachung von Bürgerentscheiden nach. Das stellt uns als Bürger in die Verantwortung, die Entwicklung kritischen Auges zu begleiten. Auch wenn es für viele frustrierend sein mag, dass der Widerstand nichts verhindern konnte, dürfen wir jetzt nicht aufgeben und uns beleidigt zurück ziehen. Gerade jetzt ist es wichtig, unser neu gefundenes politische Bewusstsein weiter zu leben und eine aktive Rolle an der Entwicklung unserer Stadt und unsere Landes einzunehmen. Demokratie funktioniert nur, wenn der Souverän, das Volk, kritisch, wach und verantwortungsbewusst handelt.

Busausfahrt gegen den Erdbahnhof

Bald ist es soweit: In Baden-Württemberg wird vom Volk über ein obskures Finanzierungsgesetz abgestimmt. Der Wahlzettel ist kompliziert und verwirrend, die Materie sowieso. Letztendlich hat man eine Wahl: Ja oder Nein. Ja heißt, man will das Milliardenprojekt Stuttgart 21 nicht haben, Nein bedeutet, dass man es haben will. Um Verwirrung vorzubeugen beschränkt sich der Wahlkampf auf eine klare Aussage, wo man das Kreuzchen hinmachen soll. Die Erdbahnhoffreunde klotzen mit Plakaten im ganzen Land, denn sie haben eins: Geld. Das haben die Gegner nicht, sind auf private Spenden und viiiiiiel Idealismus angewiesen. Darum will ich hier mal eine schöne Aktion erwähnen, die jene erreichen soll, die fern ab der Bahnhofsfrage leben, aber trotzdem gefragt sind. Hier der Aufruf:

Am 19.11. und 26.11.  fahren wir mit Bussen in ländliche Regionen, wo die Bahn nicht hinkommt.

In jedem grösseren Ort halten wir am Marktplatz, springen raus und verteilen ca. 15 Minuten Infomaterial. Dann heisst es “Alle Mensch an Bord”, und es geht weiter zur nächsten Station. Das Ganze geht ca. von 7:30 bis 15:00.

Wir hatten zunächst 2 Busse Reserviert – Nun, wegen grosser Nachfrage, stehen 3 Busse bereit. Natürlich fahren alle Busse in verschiedene Richtungen

Wenn Du an unserer Kaffeefahrt teilnehmen willst, kannst Du Dich noch per Email bei uns melden. Wir versprechen auch, weder Rheumadecken noch Tiefbahnhöfe zu verkaufen.

http://volksabstimmung-s21.org/cms/aktion/flashmob/

Grab mit!

Die Galerie lebt wieder! Erst vor kurzem habe ich Karin in unser Galeristen-Team mit aufgenommen, und schon machen wir unsere erste offizielle gemeinsame Ausstellung. Nun gut, ohne sie wäre die letzte Ausstellung nie zu Stande gekommen. Diesmal zeigen wir was in eigener Sache, denn es geht um mein Treiben im Widerstand gegen Stuttgart 21. Da ist natürlich das größte Thema die Initiative Loch 21, wozu es auch neue Sachen zu sehen gibt – und zum mitmachen! Ihr dürft euch – zumindest virtuell – bei der Verlochung unserer Stadt beteiligen. Es wird schöne Buttons geben und hoffentlich einen netten Abend mit viel Spaß. 

 

Ausstellung: Grab mit! Dora und der Widerstand. 

Vernissage: 

 

Montag, 14. November 2011
ab 19 Uhr
Unser Pavillon, Mittlerer Schlossgarten, Stuttgart

Schwer kommunizierbar

Ich les‘ grad in Spiegel und Stern, dass der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger schon lange wusste, das das Milliardenprojekt Stuttgart 21 noch mehr Milliarden kosten würde, die Zahlen aber zurück gehalten hätte. Landesbeamte hätten damals auf Basis von Bahnunterlagen Gesamtkosten von mindestens 4,9 Milliarden Euro kalkuliert, einen Endbetrag von bis zu 6,5 Milliarden Euro aber sogar für wahrscheinlicher gehalten, so der Spiegel. Auf Wunsch von Oettinger wurden die Kostenberechnungen abgebrochen, da die Zahlen „in der Öffentlichkeit schwer kommunizierbar“ sein.

Toller Trick, den merk ich mir! Wenn ich mal beim Lügen erwischt werde, behaupte ich einfach, die Wahrheit wäre halt schwer kommunizierbar gewesen. Beschimpft mich jemand als Lügenpack, echauffiere ich mich natürlich! Und wenn’s dann um diese „Wahrheit“ geht, sag ich einfach: Scheiß der Hund drauf! Wir fragen jetzt einfach das Volk. Und wenn nicht mindestens ein paar Millionen sagen, dass ich lüge, dann erkläre ich die Lüge kurzerhand zur demokratisch legitimierten Wahrheit. Und wer sich dann noch beklagt wird in einen Container auf dem Wasen gesperrt.

Erdbahnhof ist GEIL!

Ich habe mir zum Selbstschutz einen Spamfilter ins Hirn installiert. Der bewahrt mich zum Beispiel vor dümmlichen Werbekampagnen und Titelseiten der Bildzeitung, die überall leicht verdaulichen Blödsinn in großen Lettern offerieren. Diese Form von Ignoranz macht mein Leben schöner, es hält Unliebsames aus meiner Lebenslüge fern. Ab und an schau ich aber doch mal nach, was so alles im Fusselsieb des Spamfilters hängengeblieben ist, bin ja doch recht neugierig. In der Kategorie „Geiz ist geil“ ist mir dann doch was ins Auge gestochen: „Wir sind doch nicht blöd“, Mediamarkt-Optik aber kein Krimskrams zur elektronischen Unterhaltung für 555 Euro, sondern ein „Nein“ zum Kündigungsgesetz. Seit wann macht der Mediamarkt Politik? Äh, halt! Nicht Mediamarkt, http://www.fuerstuttgart21.de ist der Absender der etwas irreführenden Werbebotschaft. Anlass ist eine Volksabstimmung über die Finanzierung des Milliardenprojekts Stutttgart 21 durch das Land Baden-Württemberg. Das Thema ist komplex, die an der Wahlurne gestellte Frage ist so unverständlich wie eine Steuererklärung und der Bedarf an Aufklärung durchaus gegeben, da Souverän Volk nur dann sinnvoll entscheiden kann, wenn er weiß worum es eigentlich geht. Aufklären ist langwierig und bei vielen mangels Interesse erfolglos, drum kann man auch Meinung machen, dachte sich der IG Bürger für Baden-Württemberg e.V. und verkleistert das Land mit Grobgeschnitztem à la „Randale statt Demokratie – wir sind doch nicht blöd!“. Hinter einem Komplettausrutscher wie dem „Tu‘ IHN unten rein“-Hemdchen stehen einzelne Verwirrte, doch diese Kampagne hat System, sie ist ernst gemeint. Am besten, jeder schaut sich mal in Ruhe die Plakatserie an, und macht sich ein eigenes Bild davon, auf welchem Niveau diese Gruppierung von Erdbahnhofsfreunden versucht, Stimmen zu fangen. Und wie immer: Wenn das die besten Argumente für den Weiterbau sind, dann gute Nacht!

Die Plakatmotive gibt’s frei zum Runterladen bei http://www.fuerstuttgart21.de/.

PS: Falls euer Interesse doch tiefer geht als „oben bleiben=ja, oben ohne = nein“, hier der Wortlaut der Frage und der Gesetzesvorlage, um die es geht:

„Stimmen Sie der Gesetzesvorlage ‚Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21‘ (S21-Kündigungsgesetz) zu?“

Bin mal gespannt, wie viele Wahlberechtigte Baden-Württemberger diese Frage kapieren. Naja, wenn das Volk als Souverän hier direkt entscheiden soll, dann muss man ihm auch die Kompetenz zurechnen, zu verstehen worum es geht. Hier mal die Gesetzesvorlage, der man zustimmen kann, aber nicht muss:

Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den
vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt
Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)
§ 1
Kündigung der Vereinbarungen
Die Landesregierung ist verpflichtet, Kündigungsrechte bei den vertraglichen
Vereinbarungen mit finanziellen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg für
das Bahnprojekt Stuttgart 21 auszuüben.
§ 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Es soll also darüber abgestimmt werden, die Mitfinanzierung von S21 durch das Land in Höhe von 824.000.000 Euro beendet werden soll. Wer besser verstehen will, um was es am 27. November geht, kann das hier auf einer einigermaßen neutraler Seite nachlesen: www.lpb-bw.de/volksabstimmung_stuttgart21.html.

http://aussteiga.de/

http://infooffensive.de/

http://www.fuerstuttgart21.de/

Gartenbilder

Die Ausstellung „Bilder aus dem Schlossgarten“ in „Unser Pavillon“ war wunderbar. Danke an die Fotografen Frank, Steff und Peter, an Karin vom Pavillon, an die Compagnia Sackbahnhof, die die Ausstellung mit ordentlich Musik angefeuert haben und an alle Gäste, die mit uns diesen schönen Abend gefeiert haben!

https://www.facebook.com/galerie.dora.asemwald

PS: Pandora Büchse war auch unter den Gästen, vielleicht seht ihr sie ja im Film.

 

 

 

 

 

 

Bunt und laut!

Protest will wahrgenommen werden, drum muss er bunt und laut sein. Der drohende Stuttgarter Erdbahnhof hat die kreativen Geister jener geweckt, für die sich Fortschritt nicht in der Anzahl rollender Bagger misst. Im Laufe der Jahre hat sich eine Menge an Protestequipment angesammelt, vom Button bis zum historischen Wasserwerfer. Meine liebe Kollegin und Pavillonistin Karin, mit der ich meine letzte Ausstellung organisiert habe, hat beschlossen in eben jenem Pavillon im Schlossgarten die Ästhetik des Widerstands auszustellen. Doch braucht sie natürlich Exponate, damit die Ausstellung „Protest Equipment“ am 30.9. im Schlossgarten auch die Vielfalt zeigen kann, die wir in den letzten Jahren auf den Straßen gesehen haben. Also los, liebe Mutbürger, macht mit und bringt ab dem 24.9. eure Banner, Hüte, Jacken, Wasserwerfer, Tröten und anderes Gedöns zu „Unser Pavillon“ in den Schlossgarten!

http://www.unser-pavillon.de/

Ausflug auf’s Land

Irgendwann, wohl dieses Jahr noch, soll wohl das ganze Land befragt werden, wo in Stuttgart in Zukunft die Züge fahren sollen. Mich fragt niemand, ob in Konstanz oder Künzelsau die Stadt auf links gedreht werden soll. Ehrlich gesagt: Es interessiert mich auch nicht. Ebenso wenig interessiert es den Münsinger, wie rum in Stuttgart die Gleise liegen. Auch wenn er dafür zahlen muss, wenngleich natürlich indirekt. Trotzdem wird er gefragt. Ob er antwortet oder nicht. Ob er von der komplexen Materie Ahnung hat oder nicht. Das doofe: Ein Drittel aller Wahlberechtigten, also 2,5 Millionen müssen gegen den Erdbahnhof sein, sonst geht die Wahl automatisch zu Gunsten des Milliardenprojektes aus. Auch wenn sich viel weniger dafür entscheiden. Demokratie geht anders.

Wir haben keine Chance. Nutzen wir sie. Sagen sich auf jeden Fall ein Haufen Erdbahnhofsgegner. Das gefällt mir! Sie wollen auf’s Land ziehen und das dort hintragen, was dort zu diesem Thema verständlicherweise Mangelware ist: Information. An Infoständen im ganzen Land wollen sie mit potenziellen Wählern reden. Sie suchen auch noch Leute, die die Idee unterstützen und sich beteiligen wollen:

volksabstimmung-s21.org

Zwischen den Zelten

Es wurde ja auch höchste Zeit! Das Brachliegen meiner Galerie war mir eh ein Dorn im Auge, jetzt hab wieder was am Start. Diesmal geh ich aus dem Haus, in den Stuttgarter Schlossgarten. Dort steht „Unser Pavillon“, der einst als Camera Obscura den Bahnhof abbildete, jedoch zum Veranstaltungs- und Ausstellungsort für den kreativen Widerstand gegen den angedrohten Erdbahnhof mutierte. Heute ist da immer was los, nette Freiwillige kümmern sich um Besucher, hören sich Schimpftiraden jener an, die lieber eine Baugrube als die Zelte im Park hätten. Genau der richtige Ort und die richtigen Leute, um eine schöne Ausstellung zu machen.

Ausgestellt werden Fotos von Peter Franck und Frank Bayh & Rosenberger-Ochs, die die Zeltstadt im Park dokumentiert haben.

Montag, 5. September um 19:30
Unser Pavillon, Mittlerer Schloßgarten, Stuttgart

https://www.facebook.com/frankundsteff
https://www.facebook.com/peter.franck1

https://www.facebook.com/event.php?eid=107044349400516
https://www.facebook.com/pages/Unser-Pavillon/115978998485163

Scheindemokratische Schützengräben

Wenn zwei sich nicht einig werden, dann muss man schlichten. Wenn man so tun will, als ob man die andere Partei verstehen wollte, dann spielt man Schlichtung und sorgt dafür, dass sie zu eigenen Gunsten ausgeht. Wenn nicht, dann nimmt man sie halt nicht ernst. Wenn die anderen den Braten riechen, bringt ihnen das ja nichts, denn wer will schon als unschlichtbar in die Ecke gestellt werden?

Beim Stresstest, dem Ende der Stuttgarter Schlichtung um die Zukunft von Stadt und Bahnhof war das Ergebnis ein Kompromiss, der natürlich sofort von den S21lern abgelehnt wurde, die Schlichtung wurde enttarnt, der Frieden nicht wieder hergestellt. Der Stellungskrieg geht weiter. Die Künstlergruppe Begleitbüro SOUP (Stuttgarter Observatorium für urbane Phänomene) hat das Thema aufgegriffen und in einer Installation ausgedrückt. In mitten des Orts des Geschehens, dem Schlichtungssaal, haben sie einen Denkmalentwurf platziert. Ein Sandsackpyramide, auf der das Streitobjekt wie eine Burg tront: der Stuttgarter Bahnhof. „Ergebt Eucht“ steht auf der Fahne, kein Kompromiss wird akzeptiert, nur Kapitulation.

Am Montag den 29. August kann man die Installation zwischen 11 und 12 Uhr im vierten Stock des Stuttgarter Rathauses besichtigen.

Ich sehe in der Schlichtung eines von vielen Beispielen von Scheindemokratie, die dem Bürger offene und demokratische Prozesse vorgaukeln sollen, getreu dem Motto: Redet mit, und wenn’s uns in den Kram passt, dann hören wir vielleicht sogar zu. Demokratische Feigenblätter gibt es zuhauf. Im Herbst sollen Bürger des ganzen Landes von Lörrach bis Schwäbisch Hall darüber entscheiden, ob Stuttgart einen neuen Bahnhof braucht. Und wenn zu wenige ihren Sonntag im Wahllokal verbringen wollen, gewinnt automatisch der neue Bahnhof. Aber man hat ja gefragt, alles ganz demokratisch. Bürgerbeteiligung ist erwünscht, wenn sie im klar abgesteckten Rahmen stattfindet. Und immer schön unverbindlich bleiben, damit man unerwünschte Ergebnisse unter den Teppich kehren kann.

Eine Frage drängt sich mir auf: Ist es richtig, an scheindemokratischen Prozessen teilzunehmen oder sollte man sie boykottieren? Ganz konkret: Soll man die Volksabstimmung verweigern und riskieren, dass das eigene Anliegen am Ende knapp unterliegt? Wie seht ihr das?

Alles was ich machen kann, ist wachbleiben und vor der einlullenden Wirkung unserer Scheindemokratie zu warnen, denn es ist bequem, sich dieser Lebenslüge hinzugeben. Viel zu viele nutzen sie als Alibi dafür, ihre kritische Haltung preiszugeben und vor der Macht eines veralteten Systems zu kapitulieren. Unsere lokale Presse hat alle Ansätze, die Geschehnisse kritisch zu betrachten in den Wind geschossen und stellt jene, die sich nicht das Hirn haben zukleistern lassen als schlechte Verlierer hin. Es ist bekannt, dass die Bahn durch Lug und Trug ihr Projekt durchgeboxt hat, aber kaum einer will sich mehr damit beschäftigen, weil dieser Betrug scheindemokratisch legitimiert wurde. Und man will ja nicht auf der Verliererseite stehen.

Bitte, liebe Bürger, bleibt wach! Lasst euch nicht einlullen. Es geht um eueren Lebensraum, um eure Stadt und euer Geld. Ihr müsst euch nicht gleich an Bagger anketten, aber bleibt zumindest kritisch, denn Demokratie lebt von mündigen und wachen Bürgern.

Film, Fotografie oben: Josh von Staudach, Fotografie unten: Andreas Mayer-Brennenstuhl.

Blindgeschlichtet

Der Streit um den Stuttgarter Bahnhof geht in immer neue Runden – und mir auf die Nerven. Wie viel Gleis braucht ein Erdbahnhof um „wirtschaftlich optimale Betriebsqualität“ zu haben? Schlichter, Stresstester, Politiker, Journalisten, Kritiker und ein Haufen anderer selbsternannter Bahnexperten hauen sich mit diesem Mumpitz die Schädel ein. Vor lauter Rumgeschlichte und Stressgeteste geht die grundsätzliche Frage unter: Wer soll den ganzen Firlefanz eigentlich bezahlen? Auch wenn der neue Bahnhof 30% höhere Leistung (als was?) hätte, ist das die unzähligen Milliarden wert? Und wie unzählig diese Milliarden sind, ist ja auch noch nicht klar. Mittlerweile wissen wir schwarz auf weiß, wie uns die Bahn bei den Kosten über den Tisch gezogen hat. Konsequenzen? Keine. Ist wohl üblich so bei Großprojekten. Hach was, sind ja nur Steuergelder. Hauptsache erst mal los bauen! Wo Bagger rollen ist Zukunft! Und wenn die Kosten steigen: Salamitaktik. Die „Wahrheit“ Rädchen für Rädchen von der großen Lügenwurst abschneiden. Kennt man ja, Frösche kocht man langsam. Und wenn das Geld ausgeht? Dann sind die Verantwortlichen von damals schuldig, aber nicht mehr zur Rechenschaft zu ziehen. Pech gehabt, dann liegt er schon, der halbe Bahnhof, da kann man nicht mehr zurück. Und ja, die Verträge, die Verträge… .

Sollen sich die Gegner ruhig mit der Schlichtung rumschlagen, denken sich die Demagogen der Bahn. Wenn es ums Durchmauscheln von Gutachten und Gegengutachten geht, sind sie eh überlegen. Und so lange sie über betriebliche Qualität streiten, ist auch die Presse abgelenkt. Die kann die neuesten Gerüchte aus der Stresswelt verbreiten und verkünden, dass der Bahnhof alles erfüllt und von allen gewollt wird, wie irgendwelche Umfragen im Land ergeben. Mal ganz ehrlich: Was interessiert ein Aalener, ein Sigmaringer oder ein Lörracher ob Stuttgart für ein Zukunftsprojekt mit abgelaufenem Verfallsdatum Milliarden verbratzt? Die Rechnung bezahlen sie ja nur indirekt, die Baustelle bekommen sie nie zu sehen oder spüren, und wenn was schief geht sind sie weit weg. Also spielt man mal schön Demokratie, befragt alle die es eh nichts angeht und sichert alles durch ein Quorum von 30% ab. Genug Geschichten, die die Pressekanäle verstopfen, um davon abzulenken, dass die Planung auf erlogener und betrogener Basis rumeiert. Müsste sich jeder, der für S21 stimmt, direkt an den Mehrkosten beteiligen, dann wäre der Erdbahnhof tot.

Am Ende von Schlichtung und Volksentscheid werden fast alle einig sein, dass der Bahnhof gewollt und modern ist. Man wird anfangen zu graben, abzureißen, Rohre zu verlegen und sich über die verbliebenen „Wutbürger“ aufregen, die sich nicht haben wegschlichten lassen und versuchen, das Getriebe zu versanden. Wenn dann aber auch nur ein Teil der von der Bahn selbst erkannten Risiken konkret wird und das Geld wie erwartet ausgeht, werden alle verwundert aus der Wäsche schauen. Damit hätte man ja nicht rechnen können, der Bahnhof war doch geschlichtet und „demokraitsch“ legitimiert! Meine Prognose: Bauruine 21 und/oder Haushaltsruine 21.

Warum streiten alle über Stresstest und Volksentscheid, wenn nicht ansatzweise klar ist, was das Ganze kosten soll und wer es bezahlt? Ich will nicht meine Steuergelder von einem Unternehmen verbuddeln lassen, dass die Bürger nachweislich schon einige Male über den Tisch gezogen hat. Die heiligen Verträge, auf die die Bahn stets pocht, sind unter Vorspielung falscher Tatsachen zustande gekommen und somit sittenwidrig. DAS ist das Thema. Wen kümmert es da noch, wie viele Züge unterirdisch jede Stunde abgefertigt werden könnten?