Die Königin und der Antichristbaumstern

Irgendwo zwischen Black Sabbath, Iron Maiden und Venom gab’s wohl eine Band, tief in einem blinden Fleck meines metalhistorischen Gedächtnisses. Irgendwann, Ende Siebziger bis Mitte Achtziger. Als man den Dreck noch nicht wegproduzierte, als es noch rauschen und schmutzig klingen durfte. Ein Lied, das weit über 10 Minuten lang durch alle Klischees mäandert, endlose Gitarrensoli über dem Rhythmus einer galoppierenden Herde, Männerchöre und eine verwegene Frauenstimme dröhnen aus dem Lautsprecher meiner Stammkneipe. Demütig ob meiner Ahnungslosigkeit frage ich den DJ. Habe er selbst gemacht, mit seiner Band. Dafür scheint er mir zu jung. Oder er hat beschissen, wie ich’s ja selbst gerne mach. Hat er. Mit einem 4-Spur-Kasetten-Aufnahmegerät haben sie zwei Lieder in den Milberg Studios aufgenommen. In gnadenloser Digitalverweigerung haben „Crestfallen Queen“ eine Kassette produziert und das  handgezeichnete Cover mit dem Kopierer vervielfältigt, damit sie diese am 15. Dezember im Club Zentral (Jugendhaus Mitte) bei ihrem ersten Konzert veröffentlichen können. Da wünsche ich mir ausnahmsweise mal lange Haare für.

Ganz analog sind sie dann doch nicht. Zwei Lieder kann man online hören, wozu ich durchaus rate.

Spotify: https://goo.gl/TMPZhM
Amazon: https://goo.gl/EbToi4
iTunes: https://goo.gl/yWSTZr
Soundcloud: https://goo.gl/G3cwyb
Bandcamp: https://goo.gl/NHM2Ft
YouTube: https://goo.gl/qr3riZ

Noch eine Überraschung: Die Sängerin ist Elena. Elena hat ein Ziel: Die Verschlingensiefung Stuttgarts. Ein nobles Ziel. In ihrem Motörwolf Beautybunker interviewt sie Stuttgarter vor laufender Kamera zum Thema Beauty. Die liegt bekanntlich im Auge der Betrachterin, und diese hat ein sehr schönes Auge für die wahre Schönheit. Die des wilden und ungebändigten Geistes.

Das Logo der Band: Ein kaputter, da gefallener Christbaumstern. Antichristbaumstern, sozusagen. Umzingelt von Keilschriftzeichen. Wollte ich den Teufel mit dem Belzebub austreiben, dann würde ich zwecks Beschwörung dieses Logo auf dem Boden pinseln. Mit dem Blut jungfräulicher Ziegen. Oder alternativ mit Tomatenpesto – für unsere veganen Teufelskerlinnen und -kerle. Ich bin keilschriftlich etwas unversiert, aber Elena kann mir helfen: „No More Let Life Divide What Death Can Join Together“. Elena muss es wissen. Sie ist schließlich Profiphilosophin.

Logo:  Chris Kiesling von Misanthropic-Art
Foto (bevor ich mich reingeschlichen habe): Venera Red

Alphaorder: Fan werden!
facebook.com/CrestfallenQueen

Hier noch eine Geschichte, die meine metallische Spätsozialisierung beleuchtet

 

Robinsonade

Vor einem Jahr habe ich von einer virtuellen Reise berichtet, die mich in die innere Mongolei führte. Um der Verschneematschung vor der Tür zu entgehen, bin ich mal wieder losgezogen. Dieses Mal gemeinsam mit meiner alten Freundin Thea, die auch mal einen Tapetenwechsel braucht.

Schnell den digitalen Globus angeschubst und Genosse Zufall das Reiseziel bestimmen lassen. Nach den üblichen Treffern in die Tiefen irgend eines Ozeans landen wir am Strand einer tropischen Insel. Prima!

Entlang einer ziemlich steilen und wolkenverhangenen Küste wandern wir mal drauf los, um rauszufinden, wo wir eigentlich sind. Theas sonderbarer aber untrüglicher Sinn für Zeitzonen verrät uns schon mal, dass wir 7 Zonen entfernt westlich von ihrer Heimat Nürtingen sind.

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Die Wolken verschwinden langsam hinter dem Horizont, wo sie auch hingehören, und wir entdecken eine Bucht mit schönstem Strand. Wir verweilen bis uns das Fehlen einer Strandbar doch wieder weiter treibt.

Wir brauchen Überblick! Den soll uns der Berg verschaffen, der im Landesinneren so vor sich hin steht.

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Der Aufstieg führt uns durch tropische Wälder. Voll von Krabbelgetier, jedoch wie überall bislang ohne jede Spur von Menschen. Thea und ich streiten uns, wer von uns beiden jetzt Freitag sei.

Mehr als 500 Höhenmeter weiter entdecken wir das Geheimnis hinter dem Berg: Es geht wieder runter. Die Insel hört auf. Keine Stadt. Kein Dorf. Keine Strandbar. Keine Cocktails. Und schon gar keine Cocktailschirmchen oder Menschen, die sich diese im berauschten Zustand ins Auge rammen könnten. Einsame Insel.

Eigentlich perfekt für einen Piratenschatz! Nicht das wir einen dabei hätten, aber vielleicht können wir ja den eines Fremdpiraten plündern. Nur finden sollte man ihn, so ganz ohne Schatzkarte. Nichtmals eine von mir selbst gezeichnete Karte hilft uns bei der Suche. Abends beenden wir unsere Robinsonade und schauen mal, ob es in Nürtingen Cocktailschirmchen gibt.

Zurück in der Zivilisation versuchen wir anhand einer nicht von mir gezeichneten Karte herauszufinden, wo wir uns eigentlich rumgetrieben haben.

Die Kokosinsel! Welch schöner Name. Die ist laut unserer guten alten Freundin Wikipedia eine berüchtigte Schatzinsel. Mist. Beim nächsten Mal gebe ich mir mehr Mühe, wenn ich mir eine Schatzkarte zeichne.


Bock drauf, selbst mal virtuell zu reisen? Hier die Anleitung:

  • Man nehme: Google Earth Pro. Das herkömmliche Google Earth wurde ausgemustert, dafür gibts die Profiversion jetzt umsonst.
  • Zoome in Google Earth ganz weit raus, sodass du den ganzen Erdball siehst.erde
  • Jetzt die Erde richtig schnell anschucken. Dabei ist es wichtig, dass man das Programm so einstellt, dass sich die Erde ohne Unterlass weiter dreht und nicht abbremst.google-earth-einstellungen
  • Dreht sich die Erde nun wie wild, platzierst du den Mauszeiger auf der Mitte und machst die Augen zu. Wenn dir danach ist, klicke und zoome mit dem Mausrad so nah wie möglich ran. Augen auf und Überraschung! Zu 71% ist die Überraschung doof: Man ist mitten im Meer gelandet. Also: Noch mal von vorne.
  • Schau dich um, entdecke wo du bist, mach Fotos per Screenshot und schreibe eine wilde Geschichte.

 

Möbelwuchs

Vor vier Jahren hatte ich ein modulares Regalsystem vorgestellt, welches nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne in die Produktion ging und jetzt in meiner Bude steht. Damit es ihnen nicht langweilig wird, wollen die Möbelproduzenten Natascha und ihr Bruder Aleks ein neues System auf den Markt bringen. Ebenfalls finanziert über Crowdfunding. Ich schau mir das mal genauer an.

Ein Element des modularen Systems ist ein U aus superleichtem EPP (Expandiertes Polypropylen, siehe unten). Mit einer Steckverbindung kann man aus 2 U ein O machen. Und wenn man noch mehr davon hat, kann man Regale, Hocker, Raumtrenner und ganze Landschaften zusammenstecken. Oder sehr lange Wörter wie „uOuuOuuOuO“ an der Wand buchstabieren. Ein weiteres Element kann als Deckel oder Rückwand in das System eingesetzt werden. Will man sich was zum drauf sitzen basteln, dann sorgt das Element für die nötige Stabilität.

Aber wer freut sich am meisten darüber? Die Möbelpacker. Oder jene Freunde, die man beim Umzug dazu nötigt. Ein Element wiegt 300g. Ein Regal mit 4×4 Fächern wiegt dann grob so viel wie eine Kiste Bier. Über die freuen sich die Möbelpacker aber sicherlich auch.

 


Crowdfundingseite

Movisi

Design: Marine Peyre


Das Material: EPP (Expandiertes Polypropylen)

EPP kennt man von den Boxen der Pizzalieferanten, wird aber auch viel in Autos verbaut. EPP ist  extrem stabil und trotzdem leicht: es besteht zu 95% aus Luft. Damit ist das System für die Unterwassermöblierung ungeeignet.

Der Partikelschaumstoff ist komplett ungiftig (sogar lebensmittelecht) und voll recyclebar. Das kann man von herkömmlichen Möbelbaumaterialien wohl kaum behaupten: Pressholz wie zum Beispiel MDF oder Spanplatten enthalten Formaldehyd, was Krebs erregt.

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Die leicht texturierte Oberfläche der Elemente fühlt sich seidig an.

EPP ist ein geniales Material für den Möbelbau. Movisi hat schon einige andere EPP-Möbel im Programm, die sich auch über Jahre hinweg bewährt haben.

Radikale Empathie!

„Jetzt oder nie –Radikale Empathie!“ Das war der Slogan der „Bewegung für Radikale Empathie“, die 1970 in Stuttgart gegründet wurde. Das Künstlerkollektiv Jean&Claude hatte im Rahmen der Ausstellung „Die Banalität des Guten“ die Geschichte der Bewegung dokumentiert. Kurz darauf entdeckte ich, dass die Radikale Empathie auch meinen Vater in den 70ern bewegte:

Ein radikal empathisches Fundstück versteckte sich in der Fotokiste meiner Eltern. Ein radikal empathisches Protestplakat! An der Wand eines Proberaumkellers. Davor die Krautrock-Band „Blönd“, bei der mein Vater Peter in den 70ern Synthesizer spielte.

Blönd von links nach rechts: Peter Asemwald: Synthesizer, Gesang • Wolf Krautter: Bass, Synthesizer, Gesang • Kuno Proklow: Gitarre, Synthesizer, Gesang

„Die Leute von der Bewegung für Radikale Empathie kannten wir aus der Stuttgart Kunstszene“, erzählte mein Vater, “Wir haben damals gerne bei Happenings gespielt. Wolf, der Bassist, war damals politisch recht aktiv und hat sich der Bewegung angeschlossen. Da kamen wir auf die Idee, einen Song für die Bewegung zu schreiben. Den haben wir dann sogar aufgenommen und als Single veröffentlicht. Das war kein Hit, hat aber total Spaß gemacht“

In den Untiefen seines Kellers kramte mein Vater die Single hervor. Und er hatte sogar noch die originalen Bänder aus dem Studio. Als veritabler Elektronikmessie hatte er sogar noch eine funktionstüchtige Bandmaschine, mit der wir das Lied digitalisiert haben.

Ich habe mithilfe eines Freundes ein Musikvideo in Anlehnung an das Cover der Single gebastelt, damit man diese schöne Lied zeitgemäß verbreiten kann. Radikale Empathie kommt nie aus der Mode!

Die Single ist aus dem Jahr 1976, also fast so alt wie ich. „Kurz davor brachte Kraftwerk ihre Platte ,Radio-Aktivität‘ raus. Die hat uns total umgehauen. Wir wollten auch so was machen.“, erzählte mein Vater.

 


Links

Die Banalität des Guten auf Facebook

Bewegung für Radikale Empathie auf Facebook

Blönd auf Facebook


 

Blönd

Blönd wurde 1971 von Peter Asemwald, Wolf Krautter, Kuno Proklow und der Schlagzeugerin Annette Pilz in Stuttgart gegründet. Inspiriert durch Bands wie Can und Neu! spielten sie Krautrock. Als 1975 Annette Mutter wurde, verließ sie die Band. Die Suche nach einer Nachfolge gestaltete sich schwierig. Als sie Ende des Jahres zum ersten Mal die neue Platte von Kraftwerk „Radio-Aktivität“ hörten, beschloss Blönd, auch den Schritt zum Elektropop zu gehen. Elektroingenieur-Doktorand Peter Asemwald beschäftigte sich derzeit sehr stark mit elektronischer Klangsynthese und experimentierte mit einem modularen Analogsynthesizer, für den er einen Sequenzer konstruierte. Daraus entstand die Idee, den Beat elektronisch zu erzeugen. Auf der Empathie-Single haben sie dies zum ersten mal ausprobiert.

Die im Eigenverlag produzierte Single wurde hauptsächlich unter Anhängern der Bewegung für Radikale Empathie und der Stuttgarter Kunstszene verbreitet. Darüber hinaus erlangten sie wohl keine Bekanntheit. Auch die Radios ignorierten die Single. Mit einer Ausnahme: Der 1976 gegründete zürcher Piratensender „Wellenhexe“ spielte angeblich die Single des öfteren. Der Sender beschäftigte sich mit Themen der Frauenbewegung wie Gleichheit der Geschlechter. Das legt nahe, dass sie Verbindungen zur Bewegung für Radikale Empathie hatten.

1978 stieg Wolf Krautter bei Blönd aus, um sich mehr seinem außerpolitischem Engagement der BRE zu widmen woraufhin sich Blönd auflöste.


Bewegung für Radikale Empathie

Die beiden Stuttgarterinnen Dominique Brewing und Anja Haas haben die Geschichte der Bewegung für Radikale Empathie dokumentiert. Ich zitiere hier ihre Arbeit direkt, um einen Einblick zu vermitteln:

„Zu Beginn der 1970er-Jahre im süddeutschen Raum gegründet, macht die Bewegung für Radikale Empathie (BRE) bis heute auf Missstände aufmerksam und bemüht sich um die Stärkung der Gesellschaft durch Empathie. Zunächst als Gegenentwurf zur Roten Armee Fraktion konzipiert, setzt die BRE seitdem mithilfe von Aktionen, Flugblättern und anderem friedlich ein Zeichen gegen Hass. Die BRE greift dort an, wo sie gesellschaftsrelevante Themen erkennt, und geht wachsender Wut und Angst auf den Grund. In respektvollem Austausch soll sich wieder einander angenähert werden, anstatt sich in blindem Hass voneinander zu entfernen. Darauf wurde bislang vor allem durch zahlreiche Demonstrationen und Aktionen für mehr Toleranz und ein friedliches Miteinander aufmerksam gemacht.“

 

„Joachim Unland, Monika Seller und andere gründeten im Frühjahr 1970 die Bewegung für Radikale Empathie in Stuttgart. Unland (*1941) hatte sich zunächst bei der RAF engagiert, sich allerdings nach deren Radikalisierung von ihr distanziert. Andere spätere Mitglieder aus allen Teilen Deutschlands hatten einen ähnlichen Hintergrund oder waren bereits bei Studentenprotesten aktiv gewesen. Sie einte die Wahrnehmung der Gesellschaft, in der sie Werte wie Toleranz zusehends verkümmern sahen, sowie das Bestreben zur friedlichen Lösung von Missständen. So formierten sie sich zur BRE und definierten in einem Gründungsmanifest ihre Leitmaximen: Mut, Empathie und Respekt. Als erste öffentlichkeitswirksame Aktion gilt die Demonstration zur Stärkung der Frauenrechte im Dezember 1973. Die Demonstration mit 480 Teilnehmenden gilt als geschichtsträchtig, da – im Gegensatz zu vergleichbaren Aktionen – hier sowohl Frauen als auch Männer Seite an Seite für die Gleichstellung der Geschlechter demonstrierten. Berühmt wurde der Slogan „Jetzt oder nie – Radikale Empathie“, der bis heute oft verwendet wird.“

Fang den Trickster

In Stuttgart geht der Trickster um. Zumindest hinterlässt er Spuren, die ich entdeckt habe. On- und offline.

Trickster sind mir grundsätzlich sympathisch. Sie erzeugen Chaos. Und Chaos ist das, was die Welt davon abhält, zu verrosten.

Dem Stuttgarter Trickster bin ich zuerst im Instagram auf die Schliche gekommen, nachdem ich über den Hashtag #fangdentrickster stolperte.

Der Bursche scheint schwer zu greifen zu sein, aber all seine Spuren führen ins Figurenheater FITZ, passend für so eine komische Figur. Nächste Woche Donnerstag stellt sich der Trickster dem Publikum des Theaters. Zwei mal zwei Freikarten kann man gewinnen, wenn man sich schon im Vorfeld auf die Tricksterjagd begibt. In der Stadt hat der Trickster Aufkleber verbreitet. Wer einen fotografiert und dem Trickster auf Facebook zeigt, kommt in die Verlosung.

Wer einen Aufkleber findet, kann zwei Karten gewinnen.

Ich bin mal gespannt, was für ein Typ der Trickster so ist. Und selbst, wenn ich schon mehr über ihn wüsste, würde ich es hier jetzt nicht verraten. Fangt ihn doch selber!


Premiere: Donnerstag, 30. März 20:30 – 21:30

Weitere Spieltermine: 31. März. und 2. April 2017 um 20:30

FITZ Zentrum für Figurentheater
Eberhardstr. 61, 70173 Stuttgart

Tickets

Antideutsch

Ich mag Deutschland. Verglichen mit dem Rest der Welt ist es hier ziemlich schön: Friede, Freiheit, Offenheit, Umweltschutz, Wohlstand, Gerechtig-, Sicher- und Sauberkeit und ein Sack voll weiterer Tugenden. Kennt man ja. Eine besonders rare Tugend erlernte Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg: Demut. Schluss mit Deutschland, Deutschland über alles. Mir fällt kein ander Land ein, das sich ernsthafter um die Aufarbeitung des Dreckes am Stecken der eigenen Geschichte bemüht. Und das ist auch gut so. Nie wieder sollte blinder Nationalstolz zu so viel Grausamkeit und Zerstörung führen. Wir können nichts ungeschehen machen, aber wir können etwas anderes: wir können den Anfängen wehren! Uns darum kümmern, dass dies nie wieder geschieht. Verfolgte aller Welt genießen bei uns Asylrecht, und wir nehmen einiges auf uns, um dem auch gerecht zu werden. Wir setzen uns für ein geeintes Europa ein, das viele unsere Vorfahren mit dem Panzer unter sich einen wollten. Kurzum: Wir haben gelernt. Oder besser gesagt, die meisten von uns.

Demut ist ein zartes Pflänzchen, das nicht in einer Suppe aus Angst, Wut, Hass und Egoismus gedeiht. Sie bedarf innerer Größe, die nicht alle von uns haben. Von der neuen Rechten aufgehetzte „besorgte Bürger“ werfen ohne Zögern ihren Anstand über Bord. Sie verneinen all das, was unser Land so großartig macht. Von dem Deutschland, auf das sie stolz sein wollen, hatten wir genug in unserer Geschichte – sie soll sich bitte nicht wiederholen. Aus meiner Sicht ist die neue Rechte zutiefst antideutsch. Das liegt daran, dass mein Bild von Deutschland sich grundsätzlich von dem der neuen Rechten unterscheidet. Während ich mich eines freien und offenen Landes erfreue, malen sie ihren Teufel an die Wand.

Welches Bild soll Leitbild unserer Gesellschaft sein? In welchem Deutschland wollen wir leben? Die neue Rechte kämpft mit allen Mitteln um die Deutungshoheit, doch wir dürfen sie ihnen nicht überlassen. Doch wie können wir die Angst und den Hass überwinden? Das ist die große Frage, die nicht nur mich gerade umtreibt. Wenn ich was finde, melde ich mich sofort. Eines ist mir jetzt schon klar: Das einzige Mittel gegen Hass ist schlicht und ergreifend Liebe.

 


PS: Wem das zu patriotisch klingt, darf es gerne auch matriotisch nennen. Ein Mutterland ist ein schöner Gedanke. Wir brauchen mehr matriotische Europäer gegen die Aufhetzung des Abendlandes.

PPS: Nur weil man sein eigenes Land mag, muss man die anderen Länder nicht gleich doof finden.

PPPS: Mich kotzt es schon so leicht von schräg hinten an, dass die rechten Hetzbacken das Deutschlandgutfinden für sich gepachtet haben und ich  mich als humanistische Pluralistin irgendwie genötigt fühle, mich für meinen Matriotismus auch noch rechtfertigen zu müssen.

PPPPS: Natürlich weiß ich, dass in Deutschland nicht alles Gold ist, was glänzt. Auch hier gibt es Korruption, soziale Ungerechtigkeit und einen Haufen anderer Probleme. Aber nur, weil es um den Rest der Welt meist schlimmer bestellt ist, heißt das noch lange nicht, dass wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen können (Die pieksen eh am Hintern). Es gibt viel zu tun. Und auch das ist durchaus matriotisch!

Ganz artig aufgelegt

Wären Künstler Sportler, dann hätte Jim Avignon einen Hals voll Medaillen. Letztes Wochenende hätte es sicherlich Gold gegeben. Für 60 Quadratmeter Großartigeszeugpinseln in nur 24 Stunden. Das Publikum der Galerie Schacher – Raum für Kunst sang leider keine Fanchöre, dafür haben ein Haufen Leute für Musik gesorgt – im Zweistundentakt wechselten sich die Aufleger. Auflegen wäre etwas übertrieben für das, was Putte und ich von 20 bis 22 Uhr gemacht haben. Nennen wir es lieber Musik abspielen. Ich drehe zwar gerne an Knöpfen rum,  wollte jedoch niemandem mit meinen nichtvorhandenen Auflegekünsten plagen. Für Kunst war Jim zuständig. Sonntags um 12 Uhr waren die Wände gefüllt, konnten zwei Stunden lang bewundert werden und wurden dann wieder übermalt. Wer nicht da war, hat Pech gehabt. Zum Glück waren aber viele da, auch viele liebe Freunde.


24 Hour Arty People

Jim Avignon
Schacher – Raum für Kunst
21. – 22. Januar 2017
Galerienhaus Stuttgart, Breitscheidstr. 48, 70176 Stuttgart


Jim nach dem ersten Drittel.
Jim nach dem ersten Drittel.
Putte
Musik abspielen mit Putte

Hier noch ein paar Links:

Jim Avignon

Schacher – Raum für Kunst

Die Aktion auf Facebook

Panoramen der Ausstellung von Josh von Staudach

Artikel in der Stuttgarter Zeitung


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Ein großes Lob an den Galeristen Marko Schacher!
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Mit Vanessa und Katharina
Suzanne Kollmeder
Zusammen mit meiner großen Schwester des Herzens: Suzanne Kolmeder Foto: Bern Reinecke
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Roman und Kathi, die Fachleute für’s Pflanzenkochen vom Super Jami. Foto: Josephine Haas
Cathrin Alice hat vor uns aufgelegt. Und das wunderschön!
Cathrin Alice hat vor uns aufgelegt. Und das wunderschön!
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Mit Tess Merle Roczen
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Die Fotografen Josh von Staudach und Frank Bayh. Josh hat die Ausstellung wunderschön dokumentiert.
Martin
Martin hat mir geholfen, mal etwas unvirtueller zu erscheinen.
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Tine mit ihrer elektrischen Zigarette
Birgit Krausenecker hat die Wände danach wieder weiß gemacht.
Birgit Krausenecker hat die Wände danach wieder weiß gemacht.

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Kommt mir bekannt vor: Mädchen an der Wand, entstanden zwischen 6 und 8 Uhr morgens.

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Der liebe Knut von der Stuttgarter Zeitung hat mich fotografiert.

Mutter und Tochter

Im Fluxus was Neues: Mutter und Tochter machen Kunst und Mode.

artesari-8Kombinationen sind was Feines. Letzten Donnerstag bin ich über eine ganz besondere Kombination gestolpert: Kunst und Mode. Mutter und Tochter. Die Mutter: Suzanne Kolmeder. Malt abstrakte Bilder, deren Farben sich wie vielschichtig gewobener Stoff über die Leinwand legen. Wie Bouclé, eine Gewebe, welches besonders gerne von Chanel benutzt wird – oder von Sarah-Larissa Kolmeder. Wobei wir bei der Tochter wären.  Die junge Schneiderin mit Freude an Haute Couture nimmt Chanel-Stoffe und verpasst ihnen einen lässigen Schnitt. Als Poncho oder Pullover. Passende Accessoires inklusive.

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Chanel zum Überwerfen: Sarah-Larissa Kolmeder neben ihrem Poncho

Bilder und Klamotten passen bestens zusammen, wie man im Fluxus diesen Monat wunderbar erkennen kann. Dort hat Sarah-Larissa zusammen mit der Modehändlerin Susanne Lohrmann (Twentytwo) für Dezember ein Ladengeschäft übernommen, in welchem sie die Kleider ihres Labels Artesari zusammen mit den Gemälden ihrer Mutter verkauft.

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Suzanne Kolmeder hat nicht nur eine tolle Frisur, sie malt auch faszinierende Bilder.

Sarah-Larissa näht ihre Kleider selbst, es steckt viel Liebe für’s Detail drin. Wie in den Gemälden. Mein Versuch, sie zu fotografieren ist kläglich gescheitert. Man muss sie schon in echt sehen, um in ihrer Tiefe zu versinken. Passend heißt die Serie Deep Networks.

Sarah-Larissa Kolmeders Kompagnon Susanne Lohrmann hat eine Boutique im Stuttgarter Westen: twentytwo
Sarah-Larissa Kolmeders Kompagnon Susanne Lohrmann hat eine Boutique im Stuttgarter Westen: twentytwo
Die Bouclé-Stoffe von Artesari sind wunderschön lebendig.
Die Bouclé-Stoffe von Artesari sind wunderschön lebendig.
Passend zum Stoff: BIld von Suzanne Kolmeder
Passend zum Stoff: Bild von Suzanne Kolmeder

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Passende Accessoires zu den Pullovern und Ponchos von Artesari

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Und ja: Die Frisur von Suzanne ist wirklich toll.

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Die Mutter-Tochter-Bilder-Klamotten-Kombination funktioniert nicht nur, sie bringt etwas wirklich Schönes hervor. Ein weiterer Grund, mal ins Fluxus zu schauen. Auch für Nichthipsterinnen.


Fluxus

Artesari

Artesari auf Facebook

Artesari shop

Suzanne Kolmeder

Suzanne Kolmeder auf Facebook

Twentytwo

Sieg des Trotzes

Zu Trumps Wahl wurde ein ganzer Senfberg dazugegeben, da braucht es keinen von mir mehr dazu.Ich schau mir den Senf lieber mal genauer an.

Besonders groß scheint das Bedürfnis zu sein, dem Amerikaner an sich Dummheit zu attestieren. Eben jenes Überheben über eine breite Masse geringeren Bildungsstandes wird von dieser als die Arroganz einer Elite erkannt, die sich für etwas besseres hält. Und das tut sie auch. Für viele dieser oft als „Abgehängten“ bezeichneten, ist es ein inneres Lachsbrötchen, wenn diese moralischen Hochrossreiter mal ordentlich auf die Fresse fliegen. Und was gibt es dazu Besseres, als jemanden zum Präsidenten zu küren, der auf all das kackt, was dem Establishment heilig ist?

Gestern Nacht hat der Trotz mit einem lauten „Ätsch“gesiegt. Aus der politisch rechten Ecke erfreut man sich ob der langen Gesichter, die die von ihnen so genannten Gutmenschen jetzt machen. Trumps Authentizität wird gefeiert, auch wenn er authentisch Scheiße ist. Ein vermeintlicher „Mut zur Wahrheit“ wird von jenen bewundert, die nicht dazu in der Lage sind, mehr als eine Wahrheit – ihre eigene Wahrheit – zu akzeptieren. Es ist verlockend, auf jene herabzuschauen, die sich mit jemandem wie Trump gemein machen, ihnen den moralischen Zeigefinger entgegenzustrecken. Und genau das speist weiter ihren Trotz und ihre Wut. Und das ist Treibstoff für Demagogen.

Es mag gut tun, etwas Dampf abzulassen, bringen tut’s jedoch nichts. Ich frage mich, wie man anders damit umgehen kann. Wie man dafür sorgen kann, dass niemand aus purem Trotz jenen zur Macht verhilft, die sich fernab von Anstand und Humanismus bewegen. Wie kann man das als Gesellschaft, aber auch Individuum schaffen? Das ist eine große Aufgabe in Hinblick auf die rechten Tendenzen in Europa. Und mit Arroganz oder Wut werden wir sie nicht lösen.

Küssende Saurier

Verreisen macht Spaß, kostet aber Geld, Zeit und bei Fernreisen Kerosin. Drum verreise ich gerne virtuell, per Google Earth. Um’s spannender zu machen lass ich den Zufall mitreisen. Dazu zoome ich in Google Earth weit raus, sodass ich den ganzen Erdball sehe. erde Jetzt schucke ich die Erde richtig schnell an. Dabei ist es wichtig, dass man das Programm* so einstellt, dass sich die Erde ohne Unterlass weiter dreht und nicht abbremst. google-earth-einstellungen Dreht sich die Erde nun wie wild, platziere ich den Mauszeiger auf der Mitte und mache die Augen zu. Wenn mir danach ist, klicke ich und zoome mit dem Mausrad so nah wie möglich ran.  Augen auf und Überraschung! Zu 71% ist die Überraschung doof: Man ist mitten im Meer gelandet. Also: Noch mal von vorne.

01-Gobi

Meine erste Reise geht auch ins Wasser, beim zweiten Versuch geht’s in die Innere Mongolei, in die Wüste Gobi. Zum großen Glück lande ich auf einer Piste nördlich der Stadt Erenhot. Bekannt ist dieser Ort dafür, dass auf der Transmongolischen Eisenbahn dort die Fahrgestelle der Züge getauscht werden, da die Chinesen eine andere Spurweite haben.

Da in Erenhot einige Dinosaurierknochen gefunden wurden, gibt’s dort Haufenweise Sauriermodelle. Das Highlight: eine Brücke aus zwei sich küssenden Saurier über eine Straße. (Foto: Phil MacDonald) Mein Tipp: Selbst per Google Earth verreisen, Bildschirmfoto machen und als Postkarte ins Facebook stellen. Dazu gerne noch was über den Ort oder die Region schreiben.  Das ist zwar nicht ganz so glamourös wie selbst vor Ort sein, aber eine umwelt-, geld- und zeitfreundliche Alternative.

PS: Mit dem Auto müsste ich immerhin 100 Stunden fahren, um nach Erenhot zu kommen. Mit dem Zug kommt man aber recht einfach dort hin. Einfach nach Moskau fahren, in die Transsibirische Eisenbahn umstiegen, in Ulan Ude in die Transmongolische Eisenbahn Richtung Peking umsteigen und dann in Erenhot aussteigen. Aber virtuell geht’s halt noch einfacher.

*Programm:  So hat man früher Apps genannt.

Auf der Suche nach dem verlorenen Platz

 

Es gibt Orte, um die ranken Legenden. Aber keiner hat sie je gesehen. Einer von diesen ist der Österreichische Platz in Stuttgart, der sich angeblich zwischen Wilhelms- und Marienplatz befinden soll. Es gibt sogar eine Haltestelle, die nach ihm benannt wurde. Man muss vermutlich in die Tiefen unter dem Straßengewirr, unter die Paulinenbrücke gehen, wenn man ihn suchen will.

Zwei Freunde haben sich auf den Weg gemacht, um dem Mysterium auf die Spur zu kommen und haben dabei einige Leute befragt. Deren Antworten klangen eher nicht so vielversprechend.

Der sogenannte Österreichische Platz ist ein Relikt aus dem letzten Jahrtausend. Damals glaubte man, dass dem Auto die Zukunft gehöre. Die Menschen sollten es nutzen, um auf dem Land zu leben und in der Stadt zu arbeiten.  Dummerweise ziehen die Leute wieder in die Stadt und die Autos stehen im Stau, verbreiten emsig Feinstaub und Abgase. Der Plan ist nicht aufgegangen. Der Traum von der autogerechten Stadt wurde zum Alptraum, an dem viele Stuttgarter aber immer noch wie besessen festhalten. Für viele ist das Auto ein Selbstzweck – wenngleich es eigentlich nur der Mobilität und somit dem Menschen dienen sollte.

Wir brauchen – erst recht in Stuttgart – eine neue Vision einer menschengerechten Stadt, in der der Wunsch nach Mobilität den öffentlichen Raum nicht mehr entmenschlicht, sondern aus Transitstrecken wieder Begegnungsstätten macht. Wir müssen uns heute überlegen, wie die Stadt der Zukunft aussehen soll. Auch wenn wir nicht wissen, was auf uns zukommt. Aber eins ist mir klar: Es soll eine lebendige Stadt sein, die für Menschen, nicht für irgendwelche Blechkisten geschaffen ist.

Fünf Hektar Zukunft

Wie soll die Stadt der Zukunft aussehen? Städteplaner, Futurologen und neugierige Stadtbewohnerinnen wie ich stellen sich diese Frage. Visionen dazu hab ich selbst schon zuhauf. Und wie das so mit Visionen ist, scheitern sie meist an dem, was man gemeinhin als Realität bezeichnet. Städte wachsen meist seit Jahrhunderten vor sich hin und sind ziemlich widerstandsfähig, was Veränderungen betrifft. Nur selten kommt es vor, dass man auf einer Tabula Rasa ganz von vorne anfangen kann, ohne sich mit etwaigem Bestand rumärgern zu müssen. Krieg, Naturkatastrophen und Großbauprojekte bieten die Chance, bei Null anzufangen.

In der Stuttgart wird derzeit versucht, den Hauptbahnhof zu vergraben. Sollte das eines Tages mal gelingen, dann werden 85 Hektar (ca. 120 Fußballfelder) Fläche zur städtischen Bebauung frei. Am erhofften Rosensteinquartier wird schon seit 1993 rumgeplant, die ersten Häuser sollten 2025 gebaut werden. Falls der Bahnhof 2021 in Betrieb gehen sollte. Falls. Doch daran glaubt nicht einmal mehr die Bahn*.  Man merkt: Stadtplanung ist nichts für Ungeduldige.

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Wenn ich mir Stadtplanung nach Stuttgarter Art so anschaue, dann graust es mir schon mal im Voraus. Die architektonische Monokultur im Europaviertel zeigt, was uns so blüht. Okay, es gibt viele Menschen, denen es dort schon irgendwie gefällt, die das Rumlungern in Shopping Malls  für „urban lifestyle“ halten und denen ein warmer Starbuckspappbecher in der Hand ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Ich darf da nicht immer von mir und meinem Umfeld ausgehen, das man am ehesten in die Schublade „Alternativ“ stecken könnte. Ich hätte am liebsten kleinteilige, individuelle Bebauung mit vielen Nischen für Kunst und Kultur. Gute Stadtplanung trägt allen Bürgern Rechnung, ermöglicht ein gesundes Miteinander unterschiedlichster Lebensentwürfe. Auch wenn diese unter freien Marktbedingungen wenig Chancen haben, sich zu entfalten.

rosenstein

Um den städtebaulichen Wünschen der Bürger Rechnung zu tragen, gibt es ein informelles Bürgerbeteiligungsverfahren. Damit das Rosensteinquartier auch Platz für „alternative“ Konzepte bieten kann, fordern die  „Stadtisten“ dafür symbolische 5 der 85 Hektar und haben dazu eine Agenda beim Beteiligungsverfahren eingereicht. Damit das Ganze an Gewicht gewinnt, rufen sie soziale und kulturelle Gruppen und Initiativen dazu auf, die Agenda mitzuunterzeichnen. Aber auch jeder einzelne kann die Agenda hier ideel unterstützen:

Agenda RO5ENSTEIN

Mir ist es lieber, jetzt den Mund aufzumachen, als im Nachhinein zu lamentieren, wie doof das neue Viertel sei. Auch wenn ich wahrscheinlich schon ziemlich alt sein werde, wenn es Gestalt annehmen wird. Die Stadt wurde zu lange von den Interessen meistbietender Investoren geprägt.


Noch ein paar Anmerkungen

  • Ich betrachte die Forderungen nach fünf Hektar als symbolisch. 50.000 Quadratmeter Alternativenghetto inmitten steriler Europaviertel-Style-Wohnanlagen machen mir etwas Angst. Da hätte ich es lieber geschnitten als am Stück. Ich wünsche mir eine ordentliche Durchmischung, städtebaulichen Pluralismus.
  • Das Rosensteinquartier ist Teil des Rahmenplans Stuttgart 21. Darum passt es vielen Gegner des Projekts nicht, sich in die Planung einzubringen. Ich bin auch gegen das Projekt, akzeptiere aber zähneknirschend, dass damit angefangen wurde, es umzusetzen. Sollte es je fertig werden, möchte ich, dass dort ein lebenswertes Viertel entsteht.
  • Das neue Viertel soll nach „urbanen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten“ entwickelt werden. Das geht aber nur, wenn das 2015 eingeführte Konzeptverfahren angewandt wird. Und das kostet die Stadt viel Geld. Geld, dass sie am Ende der Bahnhofstieferlegung vielleicht gar nicht mehr hat. Dann gilt wieder das bisherige Stuttgarter Stadtplanungsverfahren „Wer zahlt, bestimmt“.

Twittern mit dem Smartstone

Um dem Geheimnis der Cro-Magnon-Menschen des Heusteigviertels auf den Grund zu gehen, habe ich beschlossen, mit die Situation vor Zeit anzuschauen. Ungeduldig – leider zu ungeduldig – programmiere ich meine Zeitlochmaschine und lande im Neolithikum, das Jahrtausende nach der letzten Kaltzeit war, in der Cro-Magnon-Menschen hier heimisch waren. Wenigstens ist es nicht so kalt, denke ich mir und schau mir die Zeit trotzdem mal an. Auf der Suche nach W-Lan begegne ich ein paar Steinzeitlingen, die mich an einen bizarren Ort bringen. Riesige, konzentrische Steinekreise stehen einfach so auf der Wiese rum. Smartstones, wie ich rausfinde.

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Bei genauerem Blick entdecke ich, dass die Neolithiker damit twittern. Zu blöd, dass meine Kenntnisse steinzeitlicher Sprachen etwas dünn sind. Ich gehe aber mal davon aus, dass auch hier viel Blödsinn verbreitet wird. Ich mach mich mal wieder auf den Rückweg in die Zukunft, bevor mir einer einen Hashtag an den Kopf wirft.

U-Bahnhof des Herzens

Drei Wochen lang war ein Spiegeluniversum durch ein Dimensionsloch im Kunstkasten Rathauspassage zu sehen. Man konnte hingehen und in Gedanken an den U-Bahnhof seines Herzens reisen. Egal, ob Bedford Avenue, Shibuya Station, Österreichischer Platz oder Rustaveli, alles ist nur eine Haltestelle entfernt. Oder zwei.
https://www.facebook.com/events/1637103999909064/

(Foto: Martin Zentner)

 

Das Geheimnis des Schlegelbaums

Der Cro-Magnon-Mensch hat’s erfunden: Das Bemalen von Wänden, insbesondere mit Motiven aus der Jagd und dem Tierverzehr. An einer steinernen Wand am östlichen Ende des Heusteigviertels entdecke ich ein prächtiges Fundstück paläolithischer Wandmalerei. Es zeigt Schlegel, die an einem Baum baumeln. Der Froscherdrang meiner inneren Paläontologin führt mich in einen Raum jenseits der Mauer. Dort zieren weitaus elaboriertere, postneolithische Gemälde die Wände. Sie widmen sich ebenso dem Sujet der Nahrungsaufnahme. Jedoch ohne Tiere. Ich erforsche den Raum und entdecke einen Stamm, der sich durch wilde Hautbemalungen und bunte Haartracht auszeichnet. Schnell finde ich heraus, dass die Wandbemalung von der Häuptlingin Kathi persönlich erstellt wurden. Im Gegensatz zu den Malern des Schlegelbaums handelt es sich bei ihr eindeutig um ein Mitglied der Art Homo Sapiens. Schlegel gibt’s hier nur vom Tofutier, in den Topf kommen hier ausschließlich Pflanzen und Pilze. Dieses Rätsel wäre gelöst. Ich stärke mich noch und mache mich auf, weitere Spuren der Cro-Magnons des Heusteigviertels zu suchen. Vielleicht verraten sie mir ja das Geheimnis des Schlegelbaums.

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Ausmalbuch für Flüchtlingskinder

Ausmalbücher sind en vogue. Ich kann mir zwar alles Mögliche ausmalen, aber eigentlich lasse ich lieber andere malen. Zum Beispiel Jim Avignon. Der ist bekannt als der schnellste Maler der Welt und kommt aus Berlin. Zusammen mit einem größeren Batzen an Künstlerkollegen hat er ein Ausmalbuch für Flüchtlingskinder produziert. 200 Stück davon hat er verkauft und damit den Druck von weiteren 1.000 Stück finanziert, die an Flüchtlingskinder verteilt wurden.

Patrick Staehle
Patrick Staehle hat eine zweite Auflage Jim Avignons Ausmalbuchs für Stuttgart produziert.

Diese Idee hat Patrick Staehle fasziniert. Der Gärtner, der inmitten des Mammutbaumwaldes südlich des Lehenviertels wohnt, hat eine zweite Auflage für das Buch drucken lassen. Auch hier sollen 200 Stück verkauft werden. Die restlichen 1.000 Exemplare gehen an Flüchtlingskinder in Stuttgart.

Malbuch
Auch ohne bunt zu sein psychedelisch: Das Ausmalbuch für Flüchtlingskinder

 

Micha Ausmalbuch
Hier kann man das Buch auch kaufen: Michas Lädle

Das Heft kann man für 10€ hier bekommen:

Michas Lädle, Michael Schmidt, Weißenburgstrass 8, 70180
Stuttgart, Tel. 0711/ 608697

Wetterleuchten, Sommermarkt der unabhängigen Verlage,
23.07.2016, 11-23 Uhr, Literaturhaus Stuttgart

Gärtnerei Staehle, Ludwigsburger Str. 211, 70435 Stuttgart
Tel. 0711 875343

raumservice, Heusteigstraße 86A, 70180 Stuttgart
Tel. 0711 66487535

Sutsche, Breitscheidstraße 38, 70176 Stuttgart

Platzhirsch, Geißstraße 12, 70173

Patrick verschickt das Heft auch für 12€ inklusive Port:
ausmalbuch@gaertnerei-staehle.de

Wer sein Heft von Jim Avignon persönlich haben möchte, kann dies am Freitag im Taut, dem blauen Container vor der Wagenhalle, Tor 6 ab 22 Uhr selbst abholen. Und das Konzert mit Jim Avignons Band Neoangin erleben.

Veranstaltung auf Facebook

 


Jim Avignon auf Facebook

Jim Avignon bei seinem Stuttgarter Galeristen Schacher – Raum für Kunst

Jim Avignon auf Wikipedia

 


Beitrag auf Arte über Jim Avignon und das Ausmalbuch

http://info.arte.tv/de/jim-avignon-street-art-mit-fluechtlingskindern

Mysteriöse Welt des Goldes

Fast alles, was hier glänzt, ist Gold. Der Rest ist Silber, Platin und Palladium. Bei Pro Aurum in der Heusteigstraße kann man Edelmetalle barrenweise kaufen – oder derzeit auch in skulpturaler Form. Letzten Samstag war dort die Eröffnung einer Ausstellung mit dem Titel „Mystisches Gold“. Da mir die glitzernde Welt der Edelmetalle ein Mysterium ist, hat mich meine Neugier dorthin gezogen. In den Räumlichkeiten, in denen einst Schlecker Zahnpasta und Damenbinden feil bot, sind neben einer überschaubaren Menge an Gästen güldene Skulpturen verteilt. Sie entstammen einer Kunstwelt, die mir durchaus fremd ist. Aus einem damit überfordertem Lautsprecher dröhnt mystisch-anmutende Musik von Vangelis. Eine Dame im Griechischen-Göttinnen-Outfit und einer der Lokalität angemessenen gold-blonden Mähne wandelt durch den Raum: Silvia Reiser. Die Schöpferin der goldenen Plastiken liebkost diese und räkelt sich im Dunst einer Nebelmaschine auf dem Boden.

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Die studierte Juristin erstellt ihre Skulpturen aus Edelstahl und lässt sie in einem eigens für sie entwickelten Verfahren galvanisch vergolden. Diese verkauft sie weltweit oder stellt sie in ihrem eigenen „Lustgarten“ in Sigmaringendorf aus. Da ihr jedoch das Stadtleben fehlt, zieht sie derzeit in ihr neues Atelier in einer Feuerbacher Villa.

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[Diesen Artikel hab ich für den Blog 70180 Stuttgart geschrieben]

Wer in die mysteriöse Welt des Goldes und der dazu passenden Kunst eintauchen will, kann dies während der Öffnungszeiten von Pro Aurum gerne tun:

Montag, Dienstag und Freitag: 9:00 – 13:00, 14:00 – 17:00
Mittwoch: 9:00 – 13:00
Donnerstag: 9:00 – 13:00, 14:00 – 18:00

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Sylvia Reiser auf Wikipedia

sylviareiser.de

Pro Aurum

Fotos: Martin Zentner
Text: Dora Asemwald

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PS: Man kann hier nicht nur Gold kaufen und in Gold investieren, sondern auch Altgold verkaufen.

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Feiern ohne Tiere

Ich könnte mich nur noch von Pflanzen ernähren. Unter einer Bedingung: Roman wäre mein Privatkoch. Ist er aber nicht. Er kocht im Super Jami in der Bopserstraße. Er und seine Partnerin Kathi haben das „Vegan-Deli“ vor einem Jahr gegründet und das wurde letzten Samstag gefeiert.

Der Laden ist voll. Aber das ist er eigentlich jeden Mittag. Kein Wunder, weil nicht nur Veganer dort essen, sondern auch eingefleischte Allesfresser. Warum? Weil es schmeckt. Alles ist frisch, keine fertigen Fleischersatzprodukte, die versuchen mittels Lebensmittelchemie so zu schmecken, als wäre ein Weber-Grill explodiert. Das Chili sin Carne schmeckt besser als die meisten hackfleischigen Varianten, die ich kenne.

Sehr angenehm: Niemand versucht mich hier mit erhobenen Zeigefinger zum Fleischverzicht zu bekehren. Hier ist das Essen das schlagende Argument.

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Unterhält die Gäste beim Pflanzenessen: Singer Songwriter Stumfol

Zur Feier gibt’s heute Livemusik. Ansonsten lädt hier gerne mal Punk zum Pogotanzen ein. Den spielt Singer und Songwriter Stumfol heute aber nicht.

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Schmeckt auch ohne Tiere: veganer Miniburger

Serviert wird ein kleiner Querschnitt der Karte, die neben Frühstück, Sandwiches, Wraps, Snacks und Salaten auch ein täglich wechselndes Gericht bietet, welches mich immer wieder auf’s Neue überrascht.

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Super-Jami-Gast Putte schaut in den „Mal mich Kasten“.
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Anja Haas schaut raus und zeichnet.
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Das kommt dabei raus, wenn ich ins Loch schaue.

Ein überdimensionales Vogelhäuschen mit Goldlametta neben dem Eingang weckt meine Neugier. Ich schaue durchs Loch und ehe ich mich versehen kann, kommt ein Porträt aus einem Schlitz des sogenannten „Mal mich Kasten“. Drinnen sitzt die Illustratorin Anja Haas und zeichnet liebevoll jene, die sich vor den Kasten setzen.

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Seit einem Jahr an der Ecke Heusteig- und Bopserstraße: Super Jami

Besonders schön im Super Jami: Die Illustration von Wirtin Kathi, die die Wand zieren. Diese kann man auch in ihren Kochbüchern wie „Kochen ohne Tiere“ bewundern.

Leider hat Super Jami abends nur bis 20 Uhr geöffnet, aber irgendwann müssen die Jamis auch mal Pause haben.

SUPER JAMI
Bopserstraße 10
70180 Stuttgart

Öffnungszeiten: Mo.–Fr. 11.00–20.00 Uhr

info@super-jami.de
0711/32099749

super-jami.de

Super Jami auf Facebook

Kathi Bretsch

(diesen Artikel habe ich für den neuen Blog 70180 Stuttgart geschreiben)

Ziggy-Stardust-Tag

Dora Stardust

Die Welt braucht einen neuen Feiertag. Ein Tag, der die Menschen dazu bewegt, Liebe zu verbreiten und sich neu zu erfinden. So wie David Bowie, geboren am 8. Januar 1947 und gestern gestorben, am 10. Januar 2016. Ich hoffe mal, dass er nicht gestorben, sondern zurück auf seinen Heimatplaneten gereist ist. In seiner Inkarnation als Ziggy Stardust kam Bowie auf die Erde, um die Botschaft von Liebe und Frieden zu verbreiten, scheiterte jedoch daran.

Jetzt ist es an uns, seine Mission aufzugreifen und umzusetzen. Deshalb wird fortan der 8. Januar der Ziggy-Stardust-Tag sein, an dem sich alle einen roten Pfeil ins Gesicht malen und der Welt Liebe bringen. Dazu wirft man an diesem Tag die alte Hülle ab und erfindet sich neu. Denn nur wer ab und an die Perspektive wechselt, kann die Welt in all ihrer komplexen Schönheit erkennen. Es ermöglicht einem, sich in die Weltbilder anderer hineinzuversetzen, das eigene zu hinterfragen, sich selbst nicht mehr so ernst zu nehmen, andere zu respektieren und in all ihren Eigenheiten zu lieben.

In einer Zeit, in der sich die Leute immer stärker vom Rest der Welt abgrenzen, in kleinen Gruppen eigene Wahrheiten postulieren und militant gegen andere verteidigen, brauchen wir einen Impuls, der diese Quelle des Hasses austrocknen lässt. Der uns daran erinnert, dass es Liebe ist, auf der unsere pluralistische, freiheitliche und demokratische Gesellschaft fußt. Dass wir nur miteinander stark sein können. Und dass wir nur miteinander sein können, wenn wir unsere Unterschiedlichkeit respektieren.

Ich bin mir verdammt sicher, dass der Ziggy-Stardust-Tag die Welt schöner machen wird und David Bowie auf seinem Heimatplaneten uns mit Freude durch sein Fernrohr beobachten wird. Das sind wir ihm und uns schuldig.

Die nicht-so-wilden 20er

Dora reist versehentlich mit ihrer Freundin Eva ins 11. Jahrhundert.

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Mein Lieblingsjahrzehnt: Die Zwanzigerjahre. Ein gutes Ziel, um meine Zeitlochmaschine zu testen. Meine Freundin Eva ist grad zu Besuch und beschließt, mitzukommen. Flink die Lochkarte stanzen und in den Quantencomputer schieben, und schon öffnet sich das Zeitloch. Zu flink, wie wir gleich erfahren werden. Oder besser gesagt damals. Damals stellt sich sehr schnell als das falsche Damals heraus. Kein Wunder, denn jedes Jahrhundert hat seine 20er-Jahre. Auch das elfte.

Idyllisch, so ein Talkessel ohne Stadt. Wir setzen uns an den Fangelsbach, der hier noch frei den Hang hinab mäandern darf und zünden uns eine Zigarette an. Eva stellt mit Erschrecken fest, dass ihr Telefon kein Empfang hat. Wir pflücken ein paar Äpfel und genießen den Ausblick. So hatten wir uns die wilden 20er nicht vorgesellt.

Ein paar Menschen, die so aussehen, als kämen sie vom Mittelaltermarkt, steigen den Berg herauf. Sie wirken etwas unenstpannt. Als sie Evas Telefon sehen, weicht Unentspannung schierer Panik – sie hauen unverrichteter Dinge einfach wieder ab. Was für Rüpel, die Mittelalter-Heinis! Dem schließen wir uns an, ich aktiviere das Rückholzeitloch und wir plumpsen zurück in die 10er-Jahre des 21. Jahrhunderts, in dem Bäche kanalisiert sind und Telefone wieder Empfang haben.

Neugierig geworden durchstöbern wir das Netz nach historischen Berichten aus dem Jahr 1020 und stoßen auf einen alten Text mit dem Bild zweier angeblicher Hexen, die wohl in jenem Jahr in der Nähe eines Stutengartens im Nesenbachtal erschienen seien sollen. Dem Bericht zufolge waren sie fremdländisch gekleidet, geruchlos, schon sehr alt –gut und gern 30 Jahre! – und hatten trotzdem noch alle Zähne im Mund. Man hielt sie für Apfeldiebe, doch als man sie stellen wollte, fuchtelte eine der Hexen mit einem magisch leuchtenden Stein in der Hand durch die Gegend, während die andere Rauch aus einem kleinen, brennenden Stab saugte. Ihre Entdecker ergriffen die Flucht und die Hexen waren nie wieder gesehen. Nur ein kleines magisches Gerät, welches Feuer spie, wenn man an einem Rad drehte, blieb wohl zurück.

Auf den Schreck hin müssen wir erst mal eine Rauchen. Aber Fack, wo ist mein Feuerzeug?